Gerade klagen alle über zu viele Autos in den Innenstädten, Staus, Abgase, Verpest und Choleriker. An mir kann’s nicht liegen, ich bin nicht schuld! Denn auch deshalb habe ich schon lang kein Auto mehr. Ich fahre Rad. Und wenn ich mir mal zu fein bin, wegen Regen oder Abendgarderobe, dann nehme ich mir einfach eines von den Sharing-Cars. Tolle Sache! Jedenfalls wenn man eines findet. Und es dann auch noch zum Fahren bringt. Das ist nicht so einfach wie es klingt.
Seit ich Car-Sharing nutze, sage ich, wenn ich anderthalb Stunden zu spät zu einem Abendessen komme, nicht mehr: Sorry, ich habe keinen Parkplatz gefunden! Sondern: Tut mir wahnsinnig leid, aber ich habe kein Auto gefunden. Das klingt allerdings viel harmloser als das, was mir vor ein paar Jahren, in der Pionierzeit des Autoteilens, zum ersten Mal passierte. Und seither, in Abwandlungen, immer wieder.
Halb acht, Geburtstagseinladung, 20 Minuten Fahrtzeit, höchstens. App, tipp, tipp, tipp, Mist, kein Auto in der Nähe. Warten, tipp, nüscht, Warten, ah, da! Aber ganz schön weit weg – und dann noch von der Konkurrenz. Habe ich zwar den Zugang, aber noch keine Ahnung, wie es funktioniert. Egal, zehn vor acht, los jetzt. Ich fahre mit dem Rad zum Auto. Wie funktioniert das jetzt hier, ah, Ziffern vom Display auf der Heckscheibe in meine App eingeben. Ich sitze, Tür zu, angeschnallt – wo ist jetzt der On-Off-Schalter? Nüscht. Ah, da steckt ein Schlüssel neben der Kupplung, ich nehme ihn raus, stecke ihn ins Schloss, es ist dunkel, drehe um. Nichts zu hören – ist der Motor an? Das ist ein Elektro-Auto. Gas? Nichts bewegt sich. Ich drehe den Schlüssel im Schloss herum. Nichts passiert. Hin, her, Gasgeben, Automatik, Licht.
Ich drehe an allem, was ich finde. Nichts passiert. Rettung: das Display. Sagt, ich soll losfahren. Lustig. Es ist fünf vor acht. Ich bin einer von sechs Gästen. Schlüssel, Kupplung, Gas, Bremse. Stille. Menü: FAQs, Nachricht senden, keine Telefonnummer. Hilfe! Ah, da links oben auf dem Pickerl! Jetzt ruf ich da aber so was von an und mach die zur Sau! Tipp, tipp, klingeln, Warten, Musik, An der schönen Moldau. Leider sind unsere Leitungen momentan überlastet. Ha, ich weiß, dass klassische Musik beruhigen soll! Aber ohne mich! Warten. Bitte rufen Sie zu einem späteren Zeitpunkt... Ich lege auf. Ich hole tief Luft. Die Regentropfen rinnen über die Scheibe. Ich schwitze. Zwanzig nach acht. Jetzt noch mal langsam. Schlüssel, Gas, Lenker. Nichts. Aber, da, das Display blinkt: Bitte parken Sie Ihr Auto an einem anderen Ort, dieser Bereich wird von unserem System nicht erfasst. Ich muss lachen. Das System hat einen Zusammenbruch. Ich auch. Ich gucke, drei Straßen weiter steht jetzt ein Auto von der anderen Firma, ich reserviere es, ziehe den Schlüssel aus dem Schloss, will ihn in die Vorrichtung stecken – hä? Abgebrochen? Wo ist denn der Schaft? Egal. Ist mir so was von egal, ich fluche, ich steck das Ding da rein, ich schmeiße die Autotür zu, bleibt es halt offen, ich lass mich nicht verarschen: UMPARKEN!? Und fahre mit dem Rad zu dem anderen Auto und bestücke die Hälfte des Abendgesprächs mit meinem vor Furor und Verzweiflung dampfenden Car-Sharing-Abenteuer. Fazit: Parkplatzfinden ist Pipifax dagegen.
Sie glauben, das war’s? Iwo. So schnell lasse ich nicht ab von großen Visionen, von Umweltschonung, Eigentumsverzicht, Güterteilung und Digital Tools! Ich halte durch, ich schaff das.
Schlüssel steckt jetzt im Handschuhfach? Kein Problem, ich bin flexibel! Kupplung ist jetzt am Lenkrad? Bin ja nicht blind! Auto behauptet, es wäre fahrbereit, tut aber keinen Mucks? Kenn ich, bin ja nicht blöd! App steht für Smarts, jetzt steht da ein BMW – wenn’s sein muss! Arzttermin, Konzertbeginn, Kind von Schule abholen – nehm ich mir halt anderthalb Stunden mehr Zeit! Und wenn das Ding dann erst mal fährt, still surrt es durch die Welt, es ist wie Science Fiction, es könnte so geil sein! Aber ich bin noch so echauffiert, dass ich den Boliden fast an die Wand fahre. Parkplatz!
So habe ich schon einige Generationen an Sharing-Cars durch das Dickicht der Stadt kutschiert. Irgendwie kamen wir immer heile an, das Auto und ich. In der Regel zu spät. Doch kürzlich meinte mein Freund, man solle doch mal über ein eigenes Auto nachdenken. Das war, als er mich vom Kopfsteinpflaster unseres Viertels, nicht weit von unserer Wohnung aufsammeln musste. Der Elternabend, zu dem ich gewollt hatte, war seit einer Viertelstunde rum. Das Auto, das mir versprochen war, stand in einer privaten Garage und ich hatte mich nicht kleinkriegen lassen wollen von Mauern, Toren und widrigen Weltkarten. Die drei alternativen Autos wurden mir vor der Nase weggeschnappt. Von den zwei Taxen, die zufällig vorbeikamen, war eines bestellt und das andere gab Gas, als es mich sah.
Es regnete. Ich ließ mich aufs Kopfsteinpflaster fallen. Mitten auf der Straße. Und begann zu weinen. Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, ich sei gegen Car-Sharing. Es ist eine tolle Sache. Wenn man eines findet. Und es zum Fahren bringt.
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