Die Lust an der Krise

War Axel Hacke der wahre Grund für die Schimpftirade der Bayern-Bosse? In seiner neuen Kolumne prophezeit er dem Club Ungeheuerliches – und erklärt, warum der Fußball nur in der Krise ehrlich und groß ist.

Herbst in München, und es herrscht düstere Stimmung beim Rekordmeister.

Foto: AFP

Da sitzt man hier, und Bayern – also FC Bayern jetzt – ist in der Krise, sechster Tabellenplatz, muss man sich mal vorstellen, Rekordmeister, Triple­gewinner, seit 2013 toptoptop in der Bundesliga, einmal sogar, war das nicht 2014?, schon im März Titelgewinner, unbesiegt, schon im März, Guardiola, jawohl, musst du dir mal geben, schon im März, niederlagenlos! Das hatte es noch nie gegeben.

Und jetzt? Sechster. Da ist man praktisch Mittelfeld, nicht mal Spitzengruppe ist man da, nicht wahr? Man hatte vergessen, wie das früher zum ­Leben gehörte: Bayern-Krise. Kam öfter vor, einmal pro Saison, meistens im Januar/­Februar, manchmal klein und schnell vorbei, manchmal – oha!

Wir denken an Hoeneß, der 1991 oder so nach einer Niederlage gegen die ding, genau, die Stuttgarter Kickers, seinen Heynckes entließ, »da habe ich geweint«, also Hoeneß jetzt. Wir denken an 1979, da sprachen sich die Spieler gegen eine Verpflichtung des Trainers Max Merkel aus, kein Merkel muss weg, sondern Merkel muss wegbleiben, und Merkel sagte: »Da wagen also Ersatzspieler gegen ­einen Max Merkel abzustimmen, Spieler, die noch gar nicht auf die Welt gekommen sind, Leute, deren Namen ich nicht einmal genau kenne.« Sepp Maier wurde dazu in der Tagesschau befragt, das war die Bayern-Revolution, der Präsident trat zurück, Merkel kam nicht, ja, ich vergesse nichts und besitze außerdem 736 Seiten Schulze-Marmeling: Die Bayern. Die Geschichte des Rekordmeisters.

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Auch fällt uns natürlich Trapattoni ein, »ich bin müde jetzt, Vater diese Spieler, eh, verteidige immer diese Spieler!!! Ich habe immer die Schulde über diese Spieler, einer ist Mario, ein anderer ist Mehmet!«

Ja, natürlich schaut man sich das noch mal an, und weil man sich nie nur eine Sache anschaut, findet man sich bei einer anderen Rede Trapattonis wieder, in Salzburg, das war 2007, er trainierte RB Salzburg, auch das war zum Verzweifeln, man sitzt vor dem Bildschirm, man hört, wie er die Weltpresse anschreit: »Was verstehe Sie wenn gucke eine Training? Was verstehe Sie? Äh die die die die. Die verletzt sind nur der Knödel der Knie e die andere Situation. Nur Gott sei Dank ein paar de Faserrissen. (…) Warum? Erfahrung in Kopf. (…) Wer kann machen machen? Wer kann nicht machen sprechen. Wer kann nicht sprechen nicht schreiben.«

Man denkt: Siegen ist schön, aber wirklich Spaß hat immer das Drama gemacht: Heulen, Zähneklappern, Revolte, Merkelsturz, Knödelknie die andere Situation. Ja, der Fußball wird ehrlich und groß nur in der Krise, wenn die Fassaden stürzen und der große Singsang beginnt:

Sind nicht alle schon zu alt?
Sind nicht alle schon zu satt?
Sind nicht alle schon zu kalt?
Sind nicht alle schon zu platt?

Sie haben doch Pech mit Verletzten! Boateng, ist der noch mit dem Herzen dabei? Müller braucht den Raum, den andere ihm verschaffen. Kovac? Ja, Frankfurt, der Pokal, aber in der Liga war er nur Elfter. Und Achter. Das ist bei Bayern, also, Achter, da bist du weg. Heynckes?

Kommt nie wieder. Und wie wäre es nun, wenn es nicht wieder aufwärts, sondern weiter abwärts ginge, richtig runter, rutsch­rutsch-rutsch? Auch das römische Reich ging eines Tages unter, auch mit der Ming-Dynastie ging es dahin, auch die Maya verschwanden vom Globus. Also: Trainerwechsel ohne Wirkung, Sponsoren ziehen zurück, Platz 16, Relega­tion gegen den HSV, Niederlage, Abstieg, Apokalypse, kein Rat, nirgends. Hoeneß weint, Stoiber ringt nach Worten, allgemeines Anhalten des Atems. Selbstausziehung der Leder­hosen. Der Vereinslyriker schmiedet Ode ans Scheitern. Klubversammlung beschließt Selbstauflösung, weil: FC Bayern, der nicht siegt, entspricht nicht Vereinszweck.

Waren müde diese Siege.
Mia warn mia.