An der Berichterstattung über Doping fällt immer wieder auf, dass einige Voraussetzungen der Argumentation ausgeblendet werden. Es geht um das Problem der Grenze zwischen legitimer und illegitimer Leistungsoptimierung, zwischen Wahrheit und Betrug. In der öffentlichen Debatte ist diese Grenze unmissverständlich: auf der einen Seite die Tugenden des disziplinierten Trainings, der ausgewogenen Ernährung, der Motivation, auf der anderen das Verbrechen des Dopings. Aber funktioniert diese Trennung wirklich reibungslos? Rufen nicht manchmal beide Seiten vergleichbare physiologische Effekte hervor? Das Verfahren des »Blutdopings« etwa, das zur Suspendierung Jan Ullrichs und anderer Fahrer von der Tour de France geführt hat, sorgt für genau jene Vermehrung der roten Blutkörperchen in den Adern der Athleten, die auch das Ziel von Praktiken wie dem Höhentraining ist. Zwei Strategien – einmal dauerhafter Aufenthalt in bestimmten Regionen, einmal Entnahme, Zentrifugierung und Rückinjektion des eigenen Blutes –, die beide die Bindung von Sauerstoff im Blut optimieren und die Leistung steigern sollen. Im Idealfall ergänzen sich die Techniken, wie es in einem der vielen Berichte über Blutdoping in den letzten Wochen hieß: »Wenn durch den Athleten besonders viele rote Blutkörperchen fließen, zum Beispiel nach einem Höhentraining, wird maximal ein Liter Blut abgenommen, in der Zentrifuge auf ein Konzentrat reduziert und gelagert. Kurz vor Wettkämpfen wird es wieder gespritzt.« Wo genau endet die erlaubte Wettkampfvorbereitung des Spitzensportlers, wo beginnt die verbotene? Offenbar spielt vor allem eine Rolle, auf welche Weise Leistungsmaximierung betrieben wird. Die Anreicherung des eigenen Blutes etwa ist legitim, sofern sie sich rein im Innern des Körpers vollzieht (Training, Ernährung); jeder Eingriff von außen – und führe er nur im Training begonnene Umwandlungsprozesse konsequent weiter – gilt als Betrug. Im Kampf gegen Doping geht es wohl weniger um die Aufklärung von Verbrechen, um die reine Liebe zur Wahrheit als vielmehr um die notwendige Aufrechterhaltung eines Menschenbildes. Denn Doping bedroht das, was für das Faszinosum Sport entscheidend ist: die Demonstration autonomer Subjektivität, unbezweifelbarer individueller Leistung. Die immer größere Bedeutung des Sports in der heutigen Welt hängt vor allem damit zusammen, dass seine Wettkämpfe eine beglückende Antithese zur voranschreitenden Abstraktion der Lebensverhältnisse bilden. Außergewöhnliche sportliche Leistungen sind eines der letzten Refugien, in denen der einzelne Mensch noch einen entscheidenden Unterschied machen kann; die wenigen Hundertstelsekunden oder Zentimeter zwischen dem Ersten und dem Zweiten versichern dem Publikum, dass es die Kategorie des selbstbestimmten Subjekts auch in unserer hochvermittelten Welt noch gibt. Der Skandal des Dopings besteht darin, dass es diese Unterschiede zwischen den Einzelnen zu nivellieren droht: Eine jedermann zugängliche Pille, eine Spritze, eine Infusion bewirken mehr als Talent und Trainingswille. Doping raubt dem Sport die souveränen Helden. Im Klagelied eines enttäuschten Jan-Ullrich-Verehrers wurde diese Konstellation kürzlich noch einmal deutlich. Der Zeitungsartikel erinnerte an das »genetische Privileg« des Radfahrers, das seine Anhänger so verehrten: »Ruhepuls von 30 bis 35, Lungenvolumen von sechs Litern, das Herz 50 Prozent größer als beim Normalmenschen«. Doping durchkreuzt genau das: die gottgegebene (oder mühevoll erarbeitete) Einzigartigkeit eines Sportlers. Der Versuch der Sportwelt, durch Gesetze und Strafen die Grenzen zwischen Legitimität und Illegitimität in der Leistungsoptimierung aufrechtzuerhalten, ist daher keine Sache der Moral. Eher hat die Erregung mit der Sorge um die öffentliche Funktionsfähigkeit und Darstellbarkeit des eigenen Metiers zu tun. Die große Erzählung des Sports, mit ihren Statistiken und Rekorden, den Mythen um Stars und Verlierer würde zur Unlesbarkeit verkommen, wenn die Unterschiede zwischen den Teilnehmern ihren Ursprung nicht mehr in den Körpern selbst hätten.