Flatrate

Mit Sicherheit zahlen Sie zu viel. Viel zu viel. Sie können sich zwar nicht ständig über neue Handytarife, Telefongebühren und Internetkosten informieren – aber inzwischen, Mannomann, ist doch wirklich einiges passiert. Die Uhr tickt. Minute für Minute werfen Sie jetzt Ihr Geld zum Fenster hinaus. Denn Ihr Provider, dieser Halsabschneider, rechnet doch tatsächlich noch nach Minuten ab, hält Sie böswillig im Zustand der Sklaverei und der Unmündigkeit, lässt Sie bluten im Tal der Ahnungslosen, mit einem Tarif aus der Steinzeit, es stinkt zum Himmel, es verstößt gegen die guten Sitten, Sie müssen etwas tun, SOFORT! Das ist die Botschaft. Jedes Plakat, jede Anzeige, jede Postwurfsendung verstärkt Ihr Gefühl, hoffnungslos hintendran zu sein und alle Chancen zu vergeben. Das Signalwort für dieses Gefühl heißt: Flatrate. Oder, in noch viel größeren Lettern, einfach nur noch: Flat.

Natürlich, man ahnt es schon, ist das mal wieder ein typisch deutsches Phänomen. In der englischsprachigen Welt ist zwar der Ausdruck flat fee geläufig, was sich präzise und unspektakulär mit »Pauschaltarif« übersetzen lässt – aber die mächtig aufgedonnerte, zusammengeschriebene »Flatrate« gibt es eigentlich nur bei uns. Nachdem wir viel zu lang in der wohligen Bevormundung eines Telefonmonopols verharrt haben, inszenieren wir nun die Befreiung daraus mit umso größerer Hysterie. Und das ist durchaus ein Triumph für die verantwortlichen Marketingstrategen, die uns ein altes und längst etwas anrüchiges Geschäftsmodell noch einmal als sensationell neuartig verkaufen, aufgeladen mit der Energie der Schnäppchenjagd und mit der Furcht, gerade das Beste zu verpassen. Ein Angebot mit dem Schlüsselwort »Flatrate« kann uns selbst dann aufschrecken, wenn wir gerade erst einen Flatrate-Vertrag abgeschlossen haben. Es wartet anscheinend immer schon der nächste, noch unglaublichere Deal.

In Wahrheit sind schon viele Flatrates gekommen und gegangen, waren mal der letzte Schrei und mal das Allerletzte – und existieren, nahezu unbemerkt, bis heute. Nur halt unter anderem Namen. Die Urlaubs-Flatrate heißt »Pauschalreise« oder, wenn man nicht einmal an der Bar eine Einzelverbindungs-Übersicht haben will, »All-Inclusive-Trip«. Die Frühstück-und-Mittagessen-in-einem-Flatrate heißt »Brunch«. Die Flatrate für den öffentlichen Nahverkehr in der eigenen Stadt heißt »Monatsabo«, für die Bahn im ganzen Land »Wochenendticket«, über die Grenzen hinaus dann »Interrail«. Die Zwangs-Flatrate für beliebig viele Feste der Volksmusik, Gottschalk, Schmidt, Sabine Christiansen und alle WM-Spiele in einem Paket heißt »Rundfunkgebühr«. Und dann gibt es auch noch die berüchtigte Flatrate des Fitness-Studios um die Ecke, die grundsätzlich noch ewig weiterläuft, wenn der Wille zur Stählung des eigenen Körpers längst wieder erlahmt ist.

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Erst diese Übersicht macht klar, dass jeder Abschluss eines Pauschaltarifs eigentlich ein Kampf ist. Ein fester, vorab vereinbarter Preis für eine noch ungewisse Dauer und Häufigkeit der Nutzung – da muss man dann fressen wie ein Irrer oder die halbe Filmgeschichte aus dem Internet herunterladen oder, im besonderen Fall des Modells »Lebensversicherung«, möglichst schnell sterben. Sonst lohnt es sich nicht. Der Hotelier mit Vollpension liefert im Gegenzug möglichst billiges Essen, der Handyprovider strapaziert sein Netz, bis es klirrt, und die Versicherung verweigert, mit Hinweis auf das Kleingedruckte, am Ende selbstverständlich die Zahlung. Eine ewige Unzufriedenheit, der Hang zum Exzess und das Gefühl, schließlich doch auf der Verliererseite zu stehen, sind eigentlich untrennbar mit dieser Art der Geschäftsbeziehung verbunden. Im Grunde wissen wir das auch, und genau deshalb war die Erfindung der »Flatrate« so dringend nötig. Sie lässt ein altes Spiel, dessen Regeln wir längst durchschauen, noch einmal völlig neu und interessant aussehen – und verkauft einmal mehr das zweifelhafte Versprechen, dass man als Kunde eigentlich nur gewinnen kann.