Fotohandy

In der Affäre um das Kokain schnupfende Supermodel Kate Moss, mit weltweiten Schlagzeilen und der Kündigung millionenschwerer Werbeverträge, ist ein Hauptschuldiger bislang kaum benannt worden: das Fotohandy, mit dem die inkriminierenden Aufnahmen entstanden sind. Ein falscher Freund drückte heimlich auf die Videotaste seines Mobiltelefons, in der höchst privaten, geradezu intimen Atmosphäre eines Musikstudios – und wenn man diese Bilder genau betrachtet, erkennt man, dass Kate Moss einmal sogar direkt in das winzige Kameraauge blickt, ohne den Vorgang des Filmens überhaupt zu bemerken. Der Plan des Filmemachers war von Anfang an, diese Aufnahmen meistbietend zu verkaufen – dennoch erregte er kei-nerlei Verdacht. Erst mit der Erfindung des Fotohandys wurde diese Art des Vertrauensbruchs möglich: Jedes andere Aufnahmegerät gibt die Intention noch preis – hier aber konnte der Verräter einfach so tun, als lese er eine SMS. Lange schien es angebracht, am Sinn des Fotohandys überhaupt zu zweifeln: Die Bilder waren selbst in den besten Geräten noch zu klein und pixelig, um Erinnerungen in einer Form zu bewahren, die man später noch gern betrachten würde – und der offensichtliche Vorteil, in jeder Lebenslage eine Kamera zur Hand zu haben, schien dieses Manko nie ganz aufzuwiegen. Jetzt aber wird klar, dass die Relevanz des Geräts in dem Maße steigt, in dem die Situation seines Einsatzes einmalig, dramatisch oder verschwörerisch wird. Die alte Maxime fotografischen Glücks, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein, gewinnt durch das Foto-handy eine neue Breitenwirkung: Wem es heutzutage gelingt, überhaupt etwas Außergewöhnliches zu erleben (und sei es eine koksende und drogenberauschte Kate Moss) –, der kann das dank seines Mobiltelefons auch festhalten. Das Fotohandy als versteckte Kamera, die nicht mehr versteckt werden muss, verwandelt uns alle in eine Armee von Privatpaparazzi. Dass die Qualität der Bilder immer noch schrecklich ist, kann dabei sogar ein Vorteil sein: Für die Vergrößerung auf der Titelseite einer Boulevardzeitung reicht es allemal, wie man jetzt gesehen hat – und der extrem grobe, ausgewaschene Look wird gleichzeitig zum neuen Standard für gefühlte Authentizität. Dass damit das Fotografieren gleichzeitig aggressiver wird, lässt sich selbst im Privatleben beobachten: In vordigitalen Zeiten wurden Freunde und Familie noch sorgfältig arrangiert und zum Lächeln aufgefordert, von den 24 Bildern eines Kleinbildfilms sollte möglichst jedes »etwas werden«. Das Material war knapp und nach zwei Schüssen wurde die Kamera wieder eingepackt. Damit waren die Objekte vor der Linse aber auch gewarnt und konnten einigermaßen kontrollieren, wie sie auf den Fotos erscheinen würden. Digital kann man hunderte von Bildern speichern und auch wieder löschen. So läuft, nur als Beispiel, ein Betriebsausflug aufs Oktoberfest inzwischen gern darauf hinaus, dass jeder jeden permanent ablichtet. Hunderte von Bildern entstehen im Lauf eines einzigen Abends, von denen gerade die, auf denen ein Opfer besonders unvorteilhaft erwischt ist, wie Trophäen herumgereicht und gespeichert werden. In welchem Maße sich das Foto-handy als neue Erfahrung vor die Wirklichkeit schiebt, lässt sich auch auf Popkonzerten beobachten. Bei jedem Höhepunkt ragen plötzlich hunderte von Fotohandys in die Luft, um aus erhöhter Position die Bühne abzulichten. Dabei leuchten die winzigen Digitaldisplays in der Dunkelheit wie sonst die Wunderkerzen: Jedes blickt auf den Star und schickt gleichzeitig eine Miniaturansicht des Stars weiter in den Zuschauerraum – die zentrale visuelle Erfahrung der Bühne erscheint plötzlich hundertfach reflektiert und zersplittert, sozusagen in ihre kleinsten Bestandteile zerlegt. Das ist am Ende auch die Metapher für ein gewisses Verlustgefühl, das mit dieser Art Fotografie verbunden ist: Stellen wir uns vor, Che Guevara hätte am Tag, als sein berühmtes, ikonengleiches Bild entstand, nicht vor der Kamera von Alberto Korda geredet, sondern vor ein paar Fotohandys. Heute blickten wir auf hunderte kleiner Bilder eines Mannes mit Barett – aber seinen Namen hätten wir längst vergessen.