Eine rätselhaft gute Laune hat uns ergriffen, seit Wochen schon, genau genommen seit dem Abend der Bundestagswahl. Wir fühlen uns leicht und frei und permanent ein bisschen krawallschröderesk. Das ganze Koalitionsgewürge, die ganzen Haar- und Fraktionsspaltereien, das ganze Gefasel von »stabilen Mehrheiten«, es geht hier rein und dort wieder raus. Angeblich wollten wir die Wende, den großen Ruck, endlich mal klare Verhältnisse – so haben wir es jedem erzählt, der es hören wollte, einschließlich den bemitleidenswerten Demoskopen. In Wirklichkeit wollten wir das genaue Gegenteil, nämlich das, was wir jetzt haben: ein bisschen Gaga, ein bisschen Dada, ein bisschen Urlaub von der Aufgabe, dieses angeblich so marode Land zu retten. »Deadlock in Germany«, schreibt die Weltpresse, übersetzt heißt das Blockierung, Stillstand, Verklemmung. Wir aber hören darin nur einen mitreißenden Reggaebeat: Don’t like Jamaica, oohhh no… it’s Deadlock Holiday.Als politische Option scheint Jamaika zwar tot, als Lebensgefühl aber nicht mehr totzukriegen. Wir umarmen das Chaos. Wir tanzen den Stillstand. Die so genannten »klaren Verhältnisse«, das muss mal gesagt werden, sind vollkommen überschätzt. Immer dann nämlich, wenn sie besonders klar wurden und ein Ruck der Stärke 9,5 durch die Gesellschaft ging, nahm das Unheil seinen Lauf. Die Erinnerung an Kommunismus und Nationalsozialismus hat uns eine Schizophrenie hinterlassen: Manchmal träumen wir noch davon, dass die Dinge unaufhaltsam voranschreiten – aber immer dann, wenn es darum geht, superklare Verhältnisse zu schaffen, zucken wir zurück wie gebrannte Kinder. So hat keiner die Chance, im großen Stil das Falsche zu tun, vielleicht auch nicht das Richtige, aber was richtig oder falsch ist, zeigt sowieso erst die Geschichte, da können unsere neoliberalen Wanderprediger erzählen, was sie wollen – wir drehen einfach die Musik etwas lauter: You’ve got to be jokin’, man… it’s Deadlock Holiday.Das Verhältnis von Klarheit und Unklarheit, es ist doch eigentlich das Verhältnis von Technik und Natur. Nehmen wir zum Beispiel den Computer: Er beruht auf dem klarsten Prinzip, das wir überhaupt kennen: an oder aus, eins oder null, ja oder nein. Genau wie der Stimmzettel. Da gibt es keine Grauzonen und keine Zwischenstufen und theoretisch dürfte nie etwas schief gehen – aber was passiert in Wirklichkeit? Früher oder später hängt sich der Computer auf, stürzt ab, das Programm bricht zusammen. Wir müssen ihn ausschalten und neu starten, anders geht es nicht, besser kriegen es die Programmierer nicht hin. Bei Lebewesen und auch bei Gesellschaften geht das nicht, da hilft nur weitermachen, mit allen Fehlern und Unstimmigkeiten, und siehe da – es funktioniert. Manche Lebewesen, die lockerlassen können und das Dasein genießen und sich einfach ins Unvermeidliche fügen, die werden sogar hundert Jahre alt. Schau dir diesen greisen Rastafari an, you got to show some respect… it’s Deadlock Holidayayay.Die Natur ist tatsächlich das Unklarste, was es gibt. Die Komplexität des menschlichen Gehirns bringt nicht nur Demoskopen zur Verzweiflung, auch die modernste Hirnforschung muss passen, wenn es um die Geheimnisse seines Funktionierens geht. Das Prinzip der Evolution, nach dem es sich in Jahrmillionen entwickelt hat, ist das heillos unterschätzte Prinzip des Ausprobierens und Durchwurstelns. Wursteln wir uns durch, sagte eine Amöbe zur anderen, im epischen Chaos der Ursuppe – und das Ergebnis ist die Welt, wie wir sie kennen, und die ist, frei nach Joschka Fischer und Louis Armstrong, insgesamt gesehen doch eine wundervolle Welt. Sicher, es gibt immer auch evolutionäre Irrwege wie den T-Rex oder Angela Merkel, aber die korrigieren sich im Laufe der Zeit von selbst. Wursteln wir also weiter, im epischen Chaos unserer Fünf- oder Sechsparteiensuppe, genießen wir die letzte Sonne und lächeln zum Sound einer Steel Guitar, if you try it, you’ll like it… it’s Deadlock, Deadlock, Deadlock Holiday.