Stellen wir uns vor, der Mann wäre nicht als Joschka Fischer berühmt geworden. Sondern, wie’s der Teufel will, als Sepp Fischer, Pepe Fischer, Joe oder gar Yusuf Fischer. Die Welt wäre eine andere: Er wäre nicht lang der beliebteste Politiker Deutschlands gewesen, auch nicht der zweitbeliebteste, sein gegenwärtiges Körpergewicht wäre allen egal, genauso wie seine Visionen von Kern- oder Großeuropa, sein umfassender Friedensplan für den Nahen Osten und das Aussehen seiner jungen, bezaubernden Freundin Minu. Ja, er müsste nicht einmal um sein Amt bangen, denn sein Posten als Taxifahrer in Frankfurt wäre relativ sicher. Alles, was dieser Mann heute hat, verdankt er dem Joschka-Prinzip.Die Macht dieses Prinzips begreift man am besten über seine Ausnahmen. Da wären zunächst die Sitzungsprotokolle des Bundestags, die ihn, in amtlicher Gültigkeit beziehungsweise Gleichgültigkeit, als Fischer, Joseph, Bundesminister AA bezeichnen. Genauso nennen ihn auch die Schreiber der FAZ-Politikseiten, die gern ebenfalls amtliche Gültigkeit hätten, ihn aber vor allem nicht mögen. Und schließlich wären da seine entmachteten Erzfeinde zur Linken, Jutta Ditfurth zum Beispiel, die immer noch einen draufsetzen müssen. Ditfurth sagt im Ernstfall Joseph Martin Fischer und spuckt diesen Dreiklang so hasserfüllt aus, als offenbare sich darin die ganze Niedertracht ihres großen Widersachers.Der Umkehrschluss ist klar: Wer Joschka sagt, ist bereits Komplize. Er spricht dem Mann, ein Erbe seiner ungarndeutschen Herkunft, das Verschmitzte und Liebenswerte, vor allem aber das Besondere zu: Joschka, die Legende im Frankfurter Häuserkampf, Joschka, der Rabauke und Versammlungsbrüller, Joschka, der Machtmensch und Realo-Taktiker, Aufsteiger, Verwandlungskünstler, Visionär. In Joseph würde ja, wie unpassend, christliche Demut mitschwingen, und noch schlimmer: ein Hauch von Impotenz. Der fromme Mann halt, der Maria gerade nicht geschwängert hat. Obwohl Joschka katholisch ist, geht das natürlich nicht. Im Gegenteil: Wer Joschka sagt, sagt eigentlich auch Pascha, das steckt da praktisch drin. Sagt Weltenlenker, Großdenker, Detailverachter, Fragenwegwischer – im Brustton der Anerkennung. Sagt augenzwinkernd ja zu vier oder fünf Ehen, geistigen Wendungen, bezaubernden neuen Freundinnen, Joggen, Nichtjoggen, Wampe, Nichtwampe, Wein, Apfelschorle, alles so irre menschlich, alles schon mit dabei.In jenem historischen Augenblick, als der Mann Minister wurde und doch Turnschuh-Joschka blieb, so wahr ihm Gott half, war ihm eigentlich schon alles verziehen, was zu verzeihen war, stand seinem Aufstieg zu grenzenloser Beliebtheit nichts mehr im Weg. Das Prinzip Joschka, auch ein Verniedlichungsprinzip, verniedlichte vor allem seine Vergangenheit.Der Versuch des Jahres 2001, diese noch einmal Karriere schädigend aufzurollen, musste daran zerschellen. Er hatte »Putz« gemacht, schon klar, aber war er ein Terrorist? Dann doch eher ein niedlicher Terroschka, der die Steine, wenn er sie warf, eigentlich nur »in die Luft« warf. Mit den Jahren ist aus dem Joschka-Prinzip eine Art Schutzpanzer geworden, ein politisches Deflektorschild, hinter dem der Mann sich beinah alles erlauben kann. Ob es noch zu knacken ist – das ist die Frage.Denn sobald die schweren Visa-Treffer nachlassen, baut sich so ein Deflektorschild, das sieht man auch am Raumschiff Enterprise, ganz von allein wieder auf. Und die Wahrheit ist am Ende auch die, dass das Joschka-Prinzip nicht nur in Joschka verwurzelt ist – es steckt praktisch in uns allen: Unser innerer Joschka macht gern auf antiautoritär und ruft zum Beispiel »Arschloch« im hohen Haus des Bundestags – aber er weiß genau, dass dies nur die politische Sprengkraft eines Silvesterböllers hat. Er kämpft wie ein Löwe gegen Atomkraft und Großkonzerne und für den ewigen Frieden, kapiert aber auch, wann Schluss ist, und fügt sich danach staatsmännisch ins Unvermeidliche. Der innere Joschka ist, kurz gesagt, auf dem langen Lauf zu sich selbst. Und falls er der Einzige ist, der dabei vorankommt – dann ist das am Ende nicht sein Problem.