Die Mannschaftsfotos im Kicker-Sonderheft zum Bundesligastart waren von jeher das erste Zeichen der bevorstehenden Fußballsaison. Im Mai hatte die abgelaufene Spielzeit geendet, und es begann die Black Box der Sommerpause, die Zeit der Zu- und Abgänge, der Sponsorenwechsel und neuen Trikotdesigns, von der in Zeitung und Fernsehen zwar gelegentlich die Rede war, deren Einzelheiten aber im heruntergefahrenen Aufmerksamkeitsmodus der spielfreien Monate kaum in Erinnerung blieben. Erst mit dem Erscheinen des Kicker-Sonderhefts, drei, vier Wochen vor dem Beginn der neuen Saison, wurde die Black Box zum ersten Mal vollständig geöffnet, und das Staunen des Lesers beim Betrachten der Mannschaftsfotos war groß: »Was, so sieht das Bayern-Trikot jetzt aus?« – »Bremen hat ja einen neuen Werbeschriftzug« – »Von den Aufsteigern kennt man ja kaum einen Spieler!«
Auffällig an der Anordnung der Mannschaftsfotos ist bis heute ihre strenge Komposition. Die Teams werden allesamt in drei oder vier übereinanderliegenden Reihen gezeigt, mit den Torhütern in der Mitte der untersten. Die Trikots der Trainer, Betreuer und Ärzte heben sich farblich von denen der Spieler ab. Vor vielen Mannschaften stehen, wiederum in genauer Symmetrie, Arztkoffer, gewonnene Pokale der vorangegangenen Saison oder eine Leiste mit den Schriftzügen der Sponsoren.
Ebenso wichtig wie das penible Einhalten dieser Ordnungsmuster ist aber auch das verlässliche Fehlen von anderen. So erfolgt etwa die Aufstellung der zwei Dutzend Feldspieler niemals nach einem ersichtlichen Prinzip: weder nach ihren Positionen in der Mannschaft noch nach ihrer Stellung innerhalb der Hierarchie des Teams, weder nach dem Anfangsbuchstaben ihres Nachnamens noch nach ihrer Körpergröße (die Bänke, auf denen sie sitzen und stehen, sind unterschiedlich hoch).
Was sagt die immergleiche Choreografie der Mannschaftsfotos aus? Die Strenge der Präsentation sorgt zuallererst für die bessere Vergleichbarkeit der Vereine untereinander; die Bilder sind jener Eichpunkt, von dem aus das endlose In-Beziehung-Setzen der Daten vor Beginn der Saison erst gelingen kann. Die Willkür der Spielerverteilung demonstriert aber darüber hinaus noch etwas anderes: den noch ungestalteten Zustand des Kaders zwischen den Spielzeiten. Die alte Saison, mit klar verteilten Rollen, ist seit einigen Wochen vorbei, die neue noch einige Wochen entfernt, und genau diese Übergangsphase bildet sich im Mannschaftsfoto ab. Das Bild macht jene Zäsur sichtbar, die der jeweilige Verein zwischen den Spielzeiten vorgenommen hat. Am Anfang einer Saison, sagt das Mannschaftsfoto, sind alle Spieler nur gleichberechtigte Elemente einer geschlossenen Einheit. Der Körper des Teams ist glatt und straff und hat noch keine Falten in Form von Hierarchien oder Konkurrenzkämpfen.
Die Ästhetik des Mannschafts-fotos zeichnet sich also gerade durch seine Unveränderbarkeit aus. Dennoch gibt es von Zeit zu Zeit einige kleine Veränderungen in seinem Aufbau, in denen aktuelle Entwicklungen des Fußballs sichtbar werden. Die letzte dieser Veränderungen betrifft, wie schon gelegentlich bemerkt wurde, die Zahl der Betreuer auf den Bildern. Jahrzehntelang waren stets nur ein Trainer, sein Assistent und allenfalls zwei Mannschaftsärzte zu sehen. Vor der Saison 2007/08 nun stehen etwa bei Schalke 04 den 27 Spielern in königsblauen Trikots nicht weniger als 13 Betreuer in weißen Hemden gegenüber. Sie bilden eine eigene Reihe und machen dem alten choreografischen Gesetz der Fotos ein Ende, dass Mannschaftsexterne nur am Rand stehen dürfen.
Jürgen Klinsmanns Fußball-Philosophie, die Hinzuziehung eines umfangreichen Stabs von Fitnesscoaches, Trainingsanalytikern und Ärzten, ist also endgültig in der Bundesliga angekommen, und ihr Eindringen ins Zentrum der Mannschaften schlägt sich in der Gestaltung der Bilder besonders anschaulich nieder. Mannschaftsfotos können insofern also als beides wahrgenommen werden: als der immergleiche geschichtslose Mythos des Neuanfangs zwischen den Spielzeiten und als Indiz für eine bestimmte Epoche innerhalb der Fußballgeschichte.