Das Wort »Promi« ist keine bloße Abkürzung. Sein Gebrauch steht für einen Bedeutungswandel des Gegenstandes, den es bezeichnet. Als vor gut zehn Jahren die ersten Gestalten im Fernsehen auftauchten, von denen keiner mehr sagen konnte, wofür sie berühmt waren, erschien der alte Begriff nicht mehr richtig.
Im »Prominenten«, diesem gewichtigen, beinahe würdevollen Wort, war eine bestimmte Ungreifbarkeit enthalten; es verwies auf eine Person, die das »Sie« in der Anrede erforderte. Die neuen Berühmtheiten dagegen verlangten nach dem Du, nach einer eher kumpelhaften Behandlung, und auf diese Weise entwickelte sich der »Promi«, der im Jargon der Fernsehmoderatorinnen und Boulevard-Magazine inzwischen allgegenwärtig geworden ist. In der Fernsehsendung Ich bin ein Star… holt mich hier raus!, deren vierte Staffel morgen zu Ende geht, war die letzten beiden Wochen unentwegt von den »Promis« im Dschungelcamp die Rede. An der Zusammensetzung der Kandidaten in dieser Staffel – allen voran zwei Schauspieler, die für ein Kapitalverbrechen lange in Haft waren – lässt sich der gegenwärtige Status von Prominenz in aller Radikalität ablesen. Die Show führt die Figur des »Lagerinsassen« und die des »Stars« zusammen: zwei Kategorien, die bis vor kurzer Zeit noch unendlich weit voneinander entfernt lagen.
Der Übergang vom Prominenten zum »Promi« besteht in der Abwesenheit eines Werks, für das er bekannt ist. Die Popularität des »Promis« ist durch nichts mehr gedeckt – keinen Film, keine Musik, keine sportliche Leistung –, sondern hat sich, wie auch bei den Kandidaten der aktuellen Dschungelshow, entweder durch eine Zufallskonstellation ergeben (Ehen, Verwandtschaftsbeziehungen, Castingshows) oder ist seit Langem verblasst. Gerade diese Ursprungslosigkeit der öffentlichen Wahrnehmung nimmt den »Promis« aber jede Souveränität: Wie sollen sie den Grad an Aufmerksamkeit halten oder zurückgewinnen, wenn sie auf kein Werk verweisen können?
Das Fernsehen nutzt diesen Mangel, wie die Dschungelshow wieder demonstriert hat, mit aller Erbarmungslosigkeit aus. Es bietet den Kandidaten ein öffentliches Forum, jeden Tag zur besten Sendezeit, doch als Gegenleistung kann die Sendung mittlerweile wirklich alles fordern: Gespräche über ausbleibenden Stuhlgang, Vergleiche der operierten Brüste in Großaufnahme, »Dschungelprüfungen«, bei denen kunstvoll präparierte Maschinen zum Einsatz kommen und Verletzungen einkalkuliert werden.
Für die Dauer der Veranstaltung erscheinen die Insassen des Lagers als vogelfrei. Diesen Eindruck verfestigen auch die pointenversessenen Moderationstexte von Dirk Bach und Sonja Zietlow, die von schwer zu ertragender Häme sind und beim Zuschauer immer wieder denselben Eindruck erzeugen wollen: Wir haben es wirklich mit Entwürdigten zu tun! Es ist vor diesem Hintergrund fast konsequent, dass zwei der prägenden Kandidaten dieser Staffel ein paar Jahre ihres Lebens in realen Gefängnissen verbrachten: Ingrid van Bergen, die in den Siebzigerjahren ihren Lebensgefährten umbrachte, und Günther Kaufmann, der sich eines Mordes bezichtigte, den seine Frau in Auftrag gegeben hatte.
In diesen beiden Figuren berühren sich die Kategorien von Prominenz und Delinquenz tatsächlich. Die Dramaturgie der Sendung weiß um dieses Geschenk und inszeniert die nächtlichen Gespräche über ihre Taten als Höhepunkt der Folgen. In diesen Unterhaltungen, stimuliert von Einblendungen der damaligen Schlagzeilen, findet die Figur des »Promis« ihre heutige Bestimmung: Er ist nicht mehr Star, sondern Aussätziger.
Das Wort »Promi« kursierte im kulturellen Leben Deutschlands schon einmal, in der Zeit zwischen 1933 und 1945. Es war die gängige Abkürzung für Goebbels’ »Propagandaministerium«, das auch für die Kontrolle künstlerischer Erzeugnisse zuständig war. Die heutigen »Promis« agieren als Propagandaministerien ihrer selbst, im Krieg um das Territorium der Aufmerksamkeit.