»Jeder hinterlässt Spuren«

Marcus Lentz betreibt seit 1995 eine Detektei in Frankfurt. Bei seinem eindrücklichsten Fall geht es um einen Sohn, der den Kontakt zu seinen Eltern abbrach, 15 Jahre lang verschwunden war – und dann dort entdeckt wurde, wo ihn ganz bestimmt niemand erwartet hätte.

Jeder Mensch sei ein guter Lügner, sagt Marcus Lentz. 40 Detektive arbeiten für seine Detektei, nicht nur in Deutschland, sondern etwa auch in Hongkong, New York und London.

Illustration: Lina Müller

SZ-Magazin: Herr Lentz, wie wird man Detektiv?
Marcus Lentz (51): Man macht eine Ausbildung zweieinhalb Jahre lang, mit Prüfung vor der IHK.

Und was lernt man da?
Vor allem viel Rechtliches. Ein Detektiv darf sich zum Beispiel nicht als Polizist ausgeben. Und auch nicht als Pfarrer oder Arzt, Gerichtsvollzieher oder sonst ein Mensch, dem die Leute etwas anvertrauen, weil er ein berufsmäßiger Geheimnisträger ist, also eine gesetzliche Schweigepflicht hat. Ansonsten lernt man, wie man professionell observiert, wie man rechtskonform ermittelt und wie man eine Legende aufbaut.

Das heißt, Sie sind ein guter Lügner?
Jeder Mensch ist das. Wir alle lügen bis zu 100 Mal am Tag. Wenn einer behauptet, er hätte noch nie gelogen, ist das schon die erste Lüge.

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Welche Legenden erschaffen Sie?
Das ist eigentlich unser Geheimnis. Aber ich kann ein paar Beispiele nennen: Ein Mensch, der vorgibt, eine leerstehende Wohnung anmieten zu wollen. Ein privater Paketzusteller. Jemand mit einer Autopanne. Eine gute Legende aufzubauen, ist gar nicht so einfach. Sie muss zu dem passen, der sie benutzen will und zu der Situation, in der sie benutzt wird. Wenn es darum geht, in einem Jugendclub zu ermitteln, schicke ich dort natürlich eher die 20-Jährige Kollegin als meinen 50-jährigen Mitarbeiter hin. Bei einer guten Legende muss man auf alle Details achten. Wenn zum Beispiel jemand vorgibt, dass gerade sein Hund im Wald entlaufen ist und er kurz telefonieren muss und hochhackige Stöckelschuhe trägt, wird das Gegenüber das vielleicht zuerst gar nicht bemerken, aber unterbewusst wird ihm irgendetwas komisch vorkommen. Er wird also bei seiner Antwort zurückhaltender sein. Gleiches gilt, wenn wir uns als Wohnungssuchende in Berlin-Neukölln ausgeben, aber eine Rolex am Arm tragen. Das passt nicht.

Was sind Ihre häufigsten Fälle?
Zu 70 Prozent beauftragen uns Firmen. Der Chef, der herausfinden will, ob sein Mitarbeiter tatsächlich krank ist oder nur so tut. Oder das Unternehmen, das dahinterkommen will, wer das Büromaterial klaut. Der Rest sind meistens die Klassiker: Untreue oder Unterhaltsbetrug.

Welcher Fall hat Ihnen am meisten bedeutet?
Das war eine Familienzusammenführung Anfang der Nullerjahre: Eltern wollten ihren Sohn wiederfinden, zu dem sie seit 15 Jahren keinen Kontakt mehr hatten. Mit 22 hatte er um die 300 000 Euro Schulden angesammelt – weil er Handyrechnungen nicht bezahlte, weil er sein Auto zu Schrott gefahren hatte, weil er hin und wieder kokste und sich gern mal einen Joint drehte. Dann verlor er auch noch seinen Job, bekam Angst und tauchte ab.

Und bei seinen Eltern hat er sich nie wieder gemeldet?
Zweimal relativ kurz nach dem Verschwinden schrieb er ihnen eine Mail von irgendeiner Wegwerf-Adresse, dass sie sich keine Sorgen machen sollen und dass es ihm gut geht. Seine Eltern antworteten natürlich, aber darauf reagierte er nicht. Das Verrückte ist, dass ein großer Teil der Schulden nach all den Jahren verjährt war, weil viele Gläubiger nie einen Mahnbescheid verschickt hatten. Und den Rest hatten die Eltern bezahlt, weil sie hofften, dass ihr Sohn dann zurückkommen würde. Doch aus lauter Scham traute er sich nicht.

Wie haben Sie den Sohn wiedergefunden?
Jeder hinterlässt Spuren. Bei ihm waren sie nach all den Jahren aber relativ kalt. Nachdem wir vielen Menschen Bilder gezeigt hatten, erinnerte sich irgendwer, dass er mit einer US-Soldatin zusammen war. Wir fanden heraus, dass er mit ihr gemeinsam mit einem Touristenvisum in die Staaten reiste. Dann fragten wir uns durch drei oder vier Bundesstaaten und waren vielleicht ein Vierteljahr unterwegs, bis wir ihn im Mittleren Westen der USA entdeckten. Er war verheiratet, hatte ein Kind, betrieb ein Diner an einer Autobahn. Er war nicht übermäßig reich, aber er führte ein gutbürgerliches, braves Leben.

Wie reagierte er, als Sie ihm sagten, dass Sie ein Detektiv sind und von seinen Eltern beauftragt wurden?
Schockiert und überrascht. Am Anfang auch etwas ablehnend, weil er sich so schämte. Außerdem hatte seine Frau keine Ahnung, was er in Deutschland für ein Leben geführt hatte. Ich glaube, da wäre jeder überfordert. Wir haben ihn erst einmal eine halbe Stunde in Ruhe gelassen und ihm dann ein Telefon geben, damit er mit seinen Eltern sprechen kann. Wir haben uns dann zurückgezogen.

Was wurde aus der Familie?
Wir haben ein Dankesschreiben bekommen, sie haben sich wohl auch alle getroffen und wiedergesehen. Aber für uns war die Angelegenheit dann erledigt. Wir sind keine Therapeuten. Was die Leute aus so einer Situation machen, ist ihre Sache.

Warum ist Ihnen der Fall so gut in Erinnerung?
Weil es einer der wenigen Personensuchen war, die gut ausging. Die Wahrscheinlichkeit, dass man jemanden wiederfindet, liegt bei 50 Prozent. Oft sind die Menschen tot, komplett abgetaucht oder reagieren völlig ablehnend. Dann dürfen wir auch keine Daten herausgeben. Was die Leute oft falsch verstehen: Wir werden nicht für das Ergebnis, sondern für unsere Bemühungen bezahlt.

Wie oft suchen Sie nach verschwundenen Menschen?
Vielleicht ein oder zwei Mal im Jahr. Das ist auch eine Kostenfrage – so eine Suche ist aufwendig, also teuer. Selbst wenn alles sofort funktioniert, kostet sie wenigstens 10 000 Euro. Bei dem Fall waren es etwa 65 000 Euro. Für die Familie war das viel Geld, sie waren selbstständige Handwerker kurz vor der Rente. Aber wir haben eben unsere Tricks und Kniffe, die wir uns bezahlen lassen – etwa unsere Kontakte bei der US-Army.