Die Ruhe hat keine Lobby in deutschen Zügen. Fußballfans, Kegelclubs und laute Dauertelefonierer nerven. Dass viele Fahrgäste sich lärmbelästigt fühlen, hat die Deutsche Bahn vor Jahren erkannt und so genannte Ruhebereiche eingerichtet, lächerlich wenige, aber immerhin gibt es einzelne Waggons, die von innen und außen mit zwei Piktogrammen gekennzeichnet sind: Eines zeigt ein durchgestrichenes Handy, das andere ein Gesicht mit vor den Mund gelegtem Zeigefinger und der Aufschrift »Psst«. Recht deutlich, sollte man meinen. Aber wer, wie ich, bevorzugt in diesen Waggons reist, der kann schon mal den Eindruck bekommen, dass manche Menschen sich in den Ruhebereich setzen, um endlich mal in Ruhe telefonieren zu können.
Neulich, ich hatte im Großraumwaggon in der Ruhezone reserviert und war sehr müde. Als ich gerade die Augen zumache, fängt der Mann auf dem Sitz hinter mir an, laut zu telefonieren. Selbst mit Ohrstöpseln höre ich, dass es um irgendein Geschäft in Mannheim geht. Eine Minute, zwei Minuten, drei Minuten. Ich öffne die Augen, an Schlaf ist nicht zu denken. Da sehe ich Rettung nahen. Die Zugbegleiterin kommt - und geht an dem Handy-Telefonierer vorbei, ohne ihn darauf anzusprechen, dass man hier das Mobiltelefon nicht benutzen darf.
Ruhe gäbe es im Ruhebereich nur, wenn man konsequent gegen Lärm vorginge
Oder ist das falsch formuliert? Die Bahn schreibt auf ihrer Webseite über die Ruhezone: »In diesem Bereich sind Handytelefonate, Klingeltöne, lautes Musikhören (auch via Kopfhörer) oder sonstige lärmende Tätigkeiten nicht erwünscht.« Nach einem klaren Verbot hört sich das nicht an. Tatsächlich spricht eine Bahnsprecherin auf Nachfrage von einer »Grauzone«. »Unsere Zugbegleiter haben nicht die Aufgabe, das Verhalten der Passagiere zu kontrollieren«, sagt sie. »Wenn die Kollegen nicht das Gefühl haben, dass ein Fahrgast gestört wird, werden sie in der Regel nicht tätig.«
Die Bahn hängt also Piktogramme auf und hofft, dass diese Einfluss auf das Verhalten der Fahrgäste haben. Vielleicht kommen als nächstes Smileys im gesamten Zug, damit alle Fahrgäste gut drauf sind und sich nicht mehr über Verspätungen ärgern?
Symbole, die Wunschdenken ausdrücken, funktionieren nicht, zumindest nicht umfassend. Immer wieder halten sich einzelne nicht an die Ruhe-Empfehlung – und damit ist eben keine Ruhe mehr, denn ob einer oder fünf lärmen, macht kaum einen Unterschied. Ruhe gäbe es im Ruhebereich nur, wenn man konsequent gegen Lärm vorginge.
Momentan lässt die Bahn die Passagiere mit diesen Problemen alleine und hofft, dass die sich ohne Blutvergießen einig werden. Aber soll ich durch den gesamten Ruhebereich gehen und alle anderen Fahrgäste darauf hinweisen, bitte die Klingeltöne abzustellen? Soll ich zu Beginn der Fahrt aufstehen und eine Durchsage machen: »Sehr geehrte Damen und Herren, es war spät gestern, ich bin müde und bitte Sie deshalb, vom Telefonieren abzusehen«? Oder soll ich beim Zugbegleiter petzen, dass das Mädchen in der Ecke – »Ich kann das beeiden!« – eben sehr laut mit ihrer Freundin telefoniert hat?
Das macht keiner, und deshalb ist es in Ruheabteilen eben auch nicht leise. Neulich erlebte ich aber eine Szene, die mich beeindruckt hat. Ein junger Geschäftsmann im Anzug telefonierte im Ruheabteil, ein anderer Mann, um die 50 im Cordsakko, ging zu ihm, zeigte auf das Ruhe-Piktogramm und sagte mit leicht hanseatischem Einschlag. »Sie können dann gerne draußen telefonieren.« Das war höflich, aber unmissverständlich. Der andere schaute erschreckt, nickte, stand auf und ging raus. Ich werde jetzt ebenfalls testen, Telefonierer freundlich auf die Ruhezone aufmerksam zu machen. Denn wenn wir Ruhebedürftigen nichts gegen den Lärm machen, tut es niemand. Machen Sie mit, je mehr Menschen aufbegehren gegen den Krach, desto leiser wird es!
Angenehmer ist es natürlich, wenn man als Fahrgast diesen Part nicht selbst übernehmen muss, wie zum Beispiel in den ICEs und TGVs, die zwischen Deutschland und Frankreich verkehren. Bevor der Zug losfährt, macht der Zugchef die Durchsage: »Wir möchten Sie darauf hinweisen, Ihre Mitreisenden nicht mit Handy-Gesprächen zu stören und nur in den Eingangsbereichen zu telefonieren.« So ist von Anfang an klar, dass Ruhe ein Gut ist, das quasi von oben geschützt wird und zwar auch außerhalb der Ruhezonen. Tatsächlich reist man in diesen Zügen viel ruhiger. Wie schön wäre es, solche Ansagen gäbe es auch auf Strecken innerhalb Deutschlands.