Ein Fleece-Pullover auf großer Reise

Leicht kann es passieren, dass man etwas im Zug liegen lässt. Aber warum ist es so schwierig, vergessene Gegenstände wiederzubekommen – selbst wenn man exakt beschreiben kann, wo sie sich befinden?

Illustration: Nishant Choksi

Zu meiner Entschuldigung sei gesagt, dass es im ICE sehr hektisch zuging. Denn dieser hatte so viel Verspätung, dass er vorzeitig endete und es nicht klar war, wo man als Fahrgast am besten umsteigen sollte, um ans Ziel zu kommen. Ich entschied mich also binnen drei Minuten, in Freiburg den Zug zu verlassen. In der Eile vergaß ich meinen Kapuzen-Fleece auf der oberen Gepäckablage. Schon auf dem Bahnsteig bemerkte ich es, da fuhr der Zug gerade ab. Ich ärgerte mich über meine Schusseligkeit, aber hatte noch Hoffnung. Ich konnte schließlich anhand von Wagen- und Platznummer genau beschreiben, wo der Pulli lag. Vielleicht hatte ich eine Chance, wenn ich schnell war.

Ich googelte auf dem Handy die Fundstelle der Bahn, fand eine Telefonnummer und rief an. Erster Schreckmoment: »Dieser Anruf kostet sie 1,49 Euro pro Minute.« Wie schnell werde ich den Wert des Pullis vertelefoniert haben? Da er recht neu und sogar ein wenig überteuert war, entschied ich mich, erst mal dran zu bleiben. Eine freundliche Frau am anderen Ende der Leitung erklärte mir bald darauf, dass sie aus technischen Gründen nicht das tun könne, worum ich sie bat, nämlich einfach kurz den Zugbegleiter anrufen, ihm meine Wagen- und Platznummer mitteilen und ihn bitten, den Pulli einzusammeln. Stattdessen nahm sie eine formale Verlustmeldung auf, ohne nach Wagen und Platz zu fragen. Missmutig machte ich meine Angaben, denn ich spürte schon, dass ich gerade ein paar Euro vertelefonierte, der Pulli auf diese Weise aber kaum mehr auftauchen würde. (Später fand ich immerhin heraus, dass man sich die Telefongebühr sparen kann, wenn man die Verlustmeldung hier aufgibt: www.fundservice.bahn.de.)

Die Info der Bahn, es gebe »im Fundsachenmanagement der DB einen gut organisierten, erfolgreichen Prozess« mit einer »Rückführungsquote« von 60 Prozent kann ich kaum glauben

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Als ich in den nächsten Zug stieg, der ab Freiburg Richtung Zürich fuhr, rannte ich sofort zum Zugchef. Dieser war sehr hilfsbereit und rief seinen Kollegen in meinem vorherigen Zug an – leider war jener ICE schon am Ziel und der Kollege nicht mehr an Bord. Auf mein Bitten hin rief der Zugbegleiter auch noch eine Stelle auf dem Gleis am Bahnhof in Basel an, der außerplanmäßigen Endstation – auch dort war nichts abgegeben worden bis jetzt. Klar, der Zug war dort erst vor ein paar Minuten eingetroffen. Die Durchwahl durfte der Zugchef mir nicht geben. Ich wusste also immer noch ganz genau, wo mein Pulli lag, aber ich konnte ihn nicht mehr erreichen. Frustrierend.

Besonders ärgerlich war, dass die zentrale Fundstelle, die ich zuvor angerufen hatte, sich alle Anrufe zwar teuer bezahlen lässt, aber anscheinend wenig macht, außer automatisierte Emails zu verschicken: »Wir konnten Ihren verlorenen Gegenstand bis heute nicht finden.« In meiner Email-Box habe ich habe fünf Verlustmeldungen aus den letzten Jahren gefunden. Nie tauchte etwas wieder auf, ob Dinge mit einem fast ausschließlich ideellem Wert oder auch solche mit gewissem materiellen Wert wie diesmal. Die Info der Bahn, es gebe »im Fundsachenmanagement der DB einen gut organisierten, erfolgreichen Prozess« mit einer »Rückführungsquote« von 60 Prozent kann ich deshalb kaum glauben. Vielleicht liegt es daran, dass wertvolle Fundsachen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zurück gegeben werden? Dort soll die Quote sogar bei 90 Prozent liegen.

Mir fällt dazu allerdings eine Geschichte ein, die das Schweizer Indie-Pop-Duo Steiner und Madlaina bei einem Konzert auf der Bühne erzählte. Sängerin Nora Steiner hatte ihre Gitarre im Zug nach Basel vergessen. Auch ihre Verlustmeldung erbrachte keinen Fund. Weil sie aber die Gitarre so liebte, suchte sie bei Ebay nach dem Modell – und prompt gab es einen Treffer. Der Inserent lebte in der Nähe von Basel – und das Foto zeigte exakt Nora Steiners Gitarre! Sie schrieb dem Anbieter und fragte ihn, wie er zu dem Instrument gekommen sei. Der versprach die Gitarre zurückzugeben, wenn die Musikerin ihn bloß nicht verpfeifen würde – er arbeitete bei der Bahn und räumte dort die Züge auf. Es kam zu einer Übergabe der Gitarre am Bahnsteig statt einer Anzeige.

Meinen Pulli fand ich leider nicht bei Ebay. Hoffentlich hält er jemanden warm, der es nötig hat. Bei den Zugaufräumern mit ihrem geringen Einkommen und dem Job, der wohl häufiges Warten auf zugigen Bahnsteigen beinhaltet, ist die Wahrscheinlichkeit dafür recht hoch. Leider war der Fleece wie gesagt überteuert und nicht so gut, wie der Hersteller-Name vermuten lassen könnte. Reklamationen nehme ich aber nicht entgegen.