Hilferuf einer Zugbegleiterin

Die Maskenpflicht ist inzwischen weit verbreitet – außer im Bahn-Fernverkehr. Bei Personal und Passagieren sorgt das für großes Unverständnis.

Illustration: Nishant Choksi

Die Zugbegleiter im deutschen Fernverkehr leben in Angst. »Vielleicht können Sie etwas tun?«, schrieb mir eine Zugbegleiterin per Email. Der Grund: In Läden und im öffentlichen Nahverkehr gibt es eine Maskenpflicht für die Kunden – bislang aber nicht im Fernverkehr der Bahn. »Warum hat jeder das Recht (im öffentlichen Raum) beschützt zu werden, nur nicht das Personal und auch die Fahrgäste in den Fernverkehrszügen?«, fragt die Zugbegleiterin, die anonym bleiben möchte. »Schließlich wäre es gerade da besonders sinnvoll, weil der Mindestabstand im Zug oft nicht eingehalten werden kann.«

Ja, es ist sinnvoll, eine Maske zu tragen in Zügen, vor allem um andere zu schützen, einen gewissen Selbstschutz gibt es jedoch auch. Das Argument für die Maske in öffentlichen Verkehrsmitteln lautet, dass die Fahrgäste dort so viel Zeit mit fremden, möglicherweise infizierten Personen verbringen, dass die Wahrscheinlichkeit für die Verbreitung des Virus steigt. Nur ist man doch als Fahrgast im öffentlichen Nahverkehr viel kürzer mit potenziell infizierten anderen Passagieren zusammen als im Fernverkehr. Es ist also widersinnig, dass es ausgerechnet auf langen Strecken keine Maskenpflicht gibt.

Für die Zugbegleiter gilt diese inzwischen, aber auch erst seit Montag 27. April – also fast zwei Wochen, nachdem die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten am 15. April eine dringende Empfehlung dazu gegeben haben. Ein Fahrgast, der am 18. April unterwegs war, schrieb mir: »Ob ICE-Hauptschaffner oder ICE-Schaffnerin, ob Service- oder Reinigungskraft, ob Informationspersonal auf den Bahnsteigen oder am Schalter ... nicht ein einziger Bahnmitarbeiter hatte einen Mundschutz auf! Keiner!«

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Nun gab mir die oben zitierte Bahnangestellte die Begründung dafür: »Ironischerweise war es uns als Zugbegleiter bis vor kurzem untersagt, freiwillig eine Maske zu tragen, um unsere Fahrgäste nicht zu verunsichern.« Eine Bahnsprecherin weiß davon auf Anfrage nichts, von anderen Zugbegleitern wird das Maskenverbot allerdings bestätigt. Die Bahn hat also anscheinend über Wochen verhindert, dass Mitarbeiter andere und sich selbst schützen, jetzt verzichtet sie auf eine Maskenpflicht für Passagiere.

Dieser irre Schlingerkurs macht Beschäftigte und Fahrgäste ratlos. Auf eine Anfrage zu dem Themenkomplex,schrieb eine Sprecherin, man halte sich an die Vorschriften von Bund, Ländern und Kommunen. Manchmal bestehe – wie in Niedersachsen – die Maskenpflicht auch im Fernverkehr, andernorts nicht. Darüber solle man sich selbst informieren. Ich habe allerdings noch nie erlebt, dass im ICE die Landesgrenzen durchgesagt worden wären. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer hat angekündigt, dass er sich für die Maskenpflicht auch im Fernverkehr einsetzen will. Auch wenn er das vielleicht schon bald mit großer Geste in die Tat umsetzen sollte, fragt man sich – warum erst jetzt und warum hat er sich nicht gegen das zuvor offensichtlich geltende Maskenverbot für Zugbegleiter ausgesprochen?

Ob Pflicht oder nicht – wir Fahrgäste sollten, wenn wir denn unterwegs sein müssen, so vernünftig sein, eine Maske zu tragen. Zusätzlich Abstand zu halten, bleibt trotzdem am wichtigsten. Eine weitere Zugbegleiterin schrieb mir dazu: »Es ist für unsere Fahrgäste in diesen Tagen, ganz im Gegensatz zu normalen Zeiten, offensichtlich unvorstellbar, ausschließlich die Fensterplätze zu nutzen.« Sie vermutet, dass die Passagiere so verhindern möchten, dass sich jemand neben sie setzt. Aber wer macht das schon freiwillig dieser Tage? Also ran ans Fenster und die Landschaft genießen. Zumindest die ist jetzt im Frühjahr schöner als noch vor drei Monaten.