Neulich im ICE fühlte ich mich für einen Moment wie vor der Pandemie. In den letzten Monaten waren dort Menschen ohne oder mit schlecht sitzender Maske das größte Ärgernis für mich. Und jetzt gehe ich an einem Mann mit Maske vorbei, setze mich – und ärgere mich darüber, dass er lauthals zu telefonieren beginnt. Hier, im Ruhebereich! Vor Corona ein großer Aufreger für mich und viele andere Fahrgäste – dass ich mich jetzt schon wieder über so etwas ärgern kann, zeigt mir, dass wir alles in allem gut gelernt haben, mit der Pandemie umzugehen. Die Maskenpflicht wird weitgehend akzeptiert.
Ich höre dem Herrn ein paar Minuten zu, dann entscheide ich mich, ihn auf den Ruhebereich hinzuweisen, damit hatte ich einst gute Erfahrungen gemacht. Als ich mich dem Telefonierer nähere, sehe ich, dass er seinen Mund-Nase-Schutz zum Sprechen unters Kinn geschoben hat! Das führt die Maskenpflicht natürlich ad absurdum, denn gerade beim Sprechen produziert man viel mehr Tröpfchen und Aerosole als beim still vor sich Hinatmen. Weil mir das schwer zu vermitteln scheint, während der Herr noch am Telefon spricht, winke ich ihm zu und deute zunächst auf das Ruhe-Symbol. Tatsächlich schaut er überrascht, nickt, beendet das Gespräch und zieht auch seine Maske wieder hoch. Anscheinend hat er die Maske abgezogen, um von seinem Gegenüber besser verstanden zu werden.
Vor wenigen Wochen habe ich im Zug sogar eine Frau gesehen, die den Mund-Nase-Schutz abnahm, um eine lange Sprachnachricht in ihr Handy zu diktieren. Sie hatte also sowohl eine Maske, um ihre Umgebung zu schützen, als auch ein Handy mit App zur schriftlichen Kommunikation – und entschied sich zweimal nicht für den Schutz ihrer Mitmenschen, sondern dafür, ihre Umgebung mit Tröpfchen und Aerosolen anzureichern. Könnte man nicht zumindest während dieses Corona-Winters die Züge komplett zu Ruhebereichen erklären? In den ICEs, die von Deutschland nach Frankreich verkehren, gibt es regelmäßig Durchsagen, dass man seine Mitreisenden nicht mit Telefon-Gesprächen belästigen solle. Warum jetzt nicht noch hinzufügen: Bitte sondern Sie nicht unnötig Tröpfchen und Aerolsole ab? Und das in allen Zügen, nicht nur in denen, die nach Frankreich fahren? Die Ruhe die dadurch zustande käme, wäre ein toller Nebeneffekt.
Bezeichnenderweise sind Leser, die Abteile für Nicht-Maskenträger ablehnen, oft die gleichen, die pöbeln und den Nutzen von Masken generell abstreiten
Die Maskenpflicht, das zeigen mir viele Zuschriften, ist immer noch ein Thema, über das sich die Bahnfahrerinnen und Bahnfahrer aufregen. In der vorherigen Lokvogel-Kolumne habe ich kritisch auf Nicht-Maskenträger mit Attest geblickt und vorgeschlagen, für sie einen eigenen Bereich zu schaffen, analog zu den Raucherabteilen, die es früher gab. Obwohl ich schrieb, dass es mir natürlich nicht zusteht, zu beurteilen, ob diese Atteste gerechtfertigt sind, kritisierten mich einige Leser – zu Recht, muss ich eingestehen. An einer Stelle hatte ich nämlich von »Maskenverweigerern (mit und ohne Attest)« gesprochen. Dafür entschuldige ich mich, denn das klang so, als wolle ich pauschal unterstellen, dass Masken-Atteste medizinisch für niemanden sinnvoll seien.
Skepsis gegenüber Attesten bleibt angebracht. Gerade erst wurde wieder über einen Arzt berichtet, der sie am Fließband für Menschen ausstellt, bei denen das nicht medizinisch indiziert ist. Aber einige wenige Menschen müssen von der Maskenpflicht befreit werden können. Leser-Emails belegen den inneren Kampf, den schwer kranke Menschen mit sich ausmachen – einerseits möchten sie sich selbst und andere schützen, andererseits haben sie wirklich Probleme mit Atemmasken. So schrieb mir ein Mann mit Mukoviszidose: »Ich trug die Maske schon vor der Corona Pandemie an öffentlichen Orten. Manchmal ist dies aber einfach nicht möglich, insbesondere nachdem ich meine Medikamente genommen habe. Auf den ersten Blick erscheine ich nicht kurzatmig. Setzte ich aber die Maske wie im Zug länger als eine Stunde auf, habe ich danach immer wenigstens zwei Tage Probleme mit der Atmung.«
Es sind allerdings diese wirklich betroffenen Menschen, die meinen Vorschlag begrüßt haben, von anderen Fahrgästen separiert zu sitzen. Einer schrieb mir, er reserviere eigens im Sechserabteil, aber die Bahn buche ihm eben immer andere Mitfahrer dazu, und er könne es sich nicht leisten, bei jeder Fahrt gleich sechs Plätze zu reservieren. (Im Übrigen könnte sich auf die freien Plätze trotzdem jemand setzen). Könnte die Bahn nicht – insbesondere in Zeiten mit wenigen Passagieren wie eben jetzt – diesen Menschen einzelne Abteile zuweisen? Als Betroffener würde ich die Zugbegleiterin oder den Schaffner ansprechen und darum bitten, separiert platziert zu werden – welcher vernünftige Bahnmitarbeiter würde einem Kranken Hilfe verwehren?
Mehrere andere Leser schrieben mir dagegen, dass es diskriminierend sei, Menschen ohne Maske in gesonderte Abteile zu bitten. Verstehe ich nicht. Ist es dann auch diskriminierend, dass Sitzplätze für körperlich eingeschränkte Menschen gibt, nah an der Tür, mit mehr Platz? Ich als Vater eines Kleinkindes fühle mich jedenfalls durch Kleinkindabteile nicht benachteiligt, sondern bin froh, dass es diese gibt. Bezeichnenderweise sind Leser, die Abteile für Nicht-Maskenträger ablehnen, oft die gleichen, die pöbeln (»Links-grüner Faschist«, »Zeuge Corona« u.ä.) und den Nutzen von Masken generell abstreiten, obwohl es für diese seit langem gute Belege gibt.
Woher kommt eigentlich diese Wut der Maskengegner auf uns Maskenträger? Wir würden auch lieber auf die Mund-Nase-Bedeckung verzichten, sie nervt! Aber wir tun uns das an, um uns selbst zu schützen und die Verbreitung von Sars-Cov-2 einzudämmen - vor allem schützen wir damit euch Nicht-Maskenträger. Und im Moment fahren wir gar nicht Bahn - dafür solltet ihr uns danken. Aber bitte mit sehr viel Abstand.