Ich will zum ersten Mal seit zwei Monaten wieder einen Fernzug benutzen – und die Vorbereitung dauert länger als die Fahrzeit. Was ziehe ich an? Ich habe Fotos von Flugzeug-Innenräumen gesehen, in denen Passagiere mit Ganzkörperschutzanzügen saßen. Vielleicht sollte ich in diesen Einmalponcho schlüpfen, den mir jemand mal geschenkt hat? Albern und wahrscheinlich schweißtreibend. Ich entscheide mich stattdessen für die leichte und weite Pudelmütze, damit wenigstens meine Haare nicht kontaminiert werden können. Welche Maske? Ich teste zunächst zwei Modelle, die eine Freundin und eine Schneiderin in der Nachbarschaft genäht haben. Sie sehen freundlicher aus als mein Gesicht, fallen aber leider durch – meine Brille beschlägt permanent. Dann eben der giftgrüne Mundnasenschutz aus dem Nippes-Laden.
Der Zug kommt fast zehn Minuten vor Abfahrt an, ich steige ein. Das Bordrestaurant ist natürlich geschlossen. Ein Blick ins Bordbistro, offen, aber die Stehtische sind mit rotem Klebeband abgesperrt, hier darf sich niemand länger aufhalten. Die erste Person, die ich im Großraumwagen sehe – eine Frau Anfang 50 –, lässt ihren Mundschutz an einem Ohr herunter baumeln. Bei dem Mann in den Sechzigern in der Sitzreihe nebenan bedeckt die Maske nur den Mund, nicht die Nase. Doch als ich weiter gehe, steigt die Disziplin. Ich sehe um die 50 Fahrgäste – der Zug ist ziemlich leer – und nur acht haben keinen Mundschutz an, darunter die beiden Lokführer, die zusteigen. Der Rest der Passagiere trägt ihn vorbildlich über Mund und Nase.
Eigentlich erstaunlich, dass so viele Menschen mitmachen, denn eine Maskenpflicht für den Fernverkehr gibt es immer noch nicht. Dann die Durchsage des Zugchefs: »Achten Sie bitte auf die Reisebeschränkungen und regional geltende Verordnungen zur Mund-Nase-Bedeckung, näheres im Internet auf bahn.de.« Dort findet man allerdings nichts zu den regionalen Besonderheiten. Dieser ICE fährt nach Hamburg, in Hessen gilt im ICE keine Maskenpflicht, ab der niedersächsischen Grenze dagegen schon. Die Empfehlung eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen und sich regelmäßig die Hände zu waschen, wird außerdem nur auf Deutsch gemacht, obwohl offensichtlich internationale Gäste an Bord sind. Die Bahn bestätigt auf Anfrage, dass den Zugbegleitern bislang keine vorgefertigten Sätze auf Englisch geliefert wurden.
War es früher, vor Corona, nicht immer total kalt im ICE? Heute ist mir dagegen warm, wohl wegen der Maske
Platzwahl in Zeiten von Corona. Eine Frau hustet in ihre Maske – ich halte die Luft an und haste weiter, dieser Wagen fällt für mich schon mal aus, obwohl durch unser beider Mund-Nasen-Bedeckung und die Luftbewegung der Klimaanlage die Ansteckungsgefahr bereits stark verringert ist. Im nächsten Waggon: ein freier Platz, vorne und hintendran sind je zwei Reihen frei – perfekt? Nein, denn leider sehe ich auf dem Sitz dahinter eine Frau ohne Mundschutz. Aber am Ende finde ich einen Sitz mit ausreichend Abstand zu Menschen, die außerdem Maske tragen.
Vor Fahrtantritt hatte mir ein Leser geschrieben, dass er sich seine Tickets in Corona-Zeiten ausdruckt und sie auf einen zwei Reihen entfernten Sitz legt, um Abstand zum Zugbegleiter zu wahren. Ich habe mich aber doch für das Handy-Ticket entschieden. Schließlich gibt es den Komfort-Check-In. (Übrigens kann man den, falls man kein Smartphone hat, auch über die Webseite der Bahn machen.) Beim Komfort-Check-In verknüpft man den Platz, auf dem man sitzt, mit seinem Ticket. Daraufhin entfällt die Fahrkartenkontrolle, weil der Zugbegleiter in seinem System sieht, dass man eine gültige Fahrkarte hat. So zumindest die Theorie, als ich nämlich wirklich einchecken will, bekomme ich bei der Hin- und Rückfahrt jeweils die Meldung: »Komfort-Check-In nicht möglich«. »Anderer Zugtyp als laut Fahrplan«, erklärt die Zugbegleiterin.
Eine Bahnsprecherin bestätigt, dass wegen der geringen Auslastung der Züge zum Teil Fahrzeuge mit geringerer Kapazität eingesetzt werden. »Da diese Züge abweichende Wagen- und Sitzplatznummer haben, können wir den Komfort-Check-In in diesen Fällen nicht anbieten.« Schade, jetzt, während der Corona-Krise, wäre der Komfort-Check-In wichtig und dann funktioniert er nicht. Mit ausgetrecktem Arm präsentiere ich mein Ticket. Etwa ein Meter liegen zwischen mir und der Zugbegleiterin, wir husten beiden nicht und tragen Mundschutz – das erscheint mir sicher.
Ich habe andere Sorgen. Erstens, meine Nase juckt, ich will sie aber auf keinen Fall anfassen – hoffentlich ist heute nicht der Tag, an dem mein Heuschnupfen beginnt. Das wäre blöd unter der Maske – und vielleicht würde im schlimmsten Fall sogar der Zug angehalten, weil ich als niesende Sars-Cov2-Schleuder eingestuft werden würde. Zum Glück vergeht das Jucken.
Zweitens: War es früher, vor Corona, nicht immer total kalt im ICE? Heute ist mir dagegen warm, wohl wegen der Maske. Die bleibt auf meinem Gesicht, dafür sitze ich bald im T-Shirt und ohne Mütze im Zug. Dann wird mein Ausstiegsort durchgesagt. Ich stehe auf und begebe mich zur Tür – warum eigentlich so früh? Acht Menschen stehen an zwei nebeneinander liegenden Zugtüren auf relativ dichtem Raum, zwar alle mit Maske, aber ich wäre besser sitzen geblieben, bis der Zug hält und wäre erst dann zur Tür gegangen. Denn blöderweise fahren wir auch noch zehn Minuten Verspätung ein, ohne Vorwarnung per Durchsage. Also atmen wir acht eine Viertelstunde lang gegenseitig unsere Abluft ein, da ist Verbesserungspotential bei mir und der Bahn.
Schließlich bin ich zurück am Hauptbahnhof in Frankfurt. Außer dem Surren der E-Loks ist nichts zu hören, nie habe ich es hier so ruhig erlebt. Monatelang stand gegenüber von Gleis 7 ein Klavier, auf dem jeder, der wollte, spielen konnte. Aber jetzt, wo man eine hoffnungsvolle Melodie gebrauchen und sie sogar hören könnte, ist es weg.