Sie fährt und fährt und fährt

Flüge werden gestrichen, Busverbindungen eingestellt, aber die Züge fahren unverdrossen weiter. Merken wir erst in der Krise, was wir an der Bahn haben?

Illustration: Nishant Choksi

Die Lufthansa hat 95 Prozent ihrer Flüge gestrichen, Flix Bus und Flix Train fahren überhaupt nicht mehr – aber ein Unternehmen transportiert weiterhin unbeirrt Fahrgäste: die Deutsche Bahn. Wer Flix-Train-Tickets gebucht hat, kann jetzt sogar kostenlos mit der DB fahren. Und auf einmal merken wir Deutschen, was wir doch an unserer Bahn haben. Zwar hat sie uns mit Verspätungen und Zugausfällen oft den letzten Nerv geraubt. Aber jetzt fährt und fährt und fährt sie. Sie befördert Ärzte, Pflegepersonal oder Polizisten dahin, wo sie gebraucht werden, und hilft auch sonst auf vielerlei Art, die Schwierigkeiten und Herausforderungen der Corona-Krise zu bewältigen.

»Unsere« Bahn ist dabei wörtlich zu nehmen, denn sie gehört ja zu 100 Prozent dem Bund, also uns Steuerzahlern. Zum Glück hat die oft geplante Privatisierung nie statt gefunden! Denn ein nur an Profit orientiertes Mobilitäts-Unternehmen – wie eben Flix Train oder Flix Bus – hätte wohl den Betrieb einstellen müssen angesichts drastisch eingebrochener Fahrgastzahlen. Als Staatsunternehmen dagegen kann die Bahn weiter fahren. Das gleiche gilt auch für all die privaten Bahnunternehmen, die im Auftrag der Bundesländer (und damit auch von diesen, also wiederum vom Steuerzahler, bezahlt) den Regionalverkehr aufrecht erhalten.

»Die Fahrgäste benehmen sich im Moment super«, sagt eine Zugbegleiterin

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So kommt es, dass sich Management und Mitarbeiter über etwas freuen können, das normalerweise jedem Unternehmen große Sorgen machen müsste: Es gibt kaum noch Kunden. Eine Bahnsprecherin nennt das »verantwortungsvolles Verhalten der Fahrgäste«. Eine 48-jährige Zugbegleiterin aus dem DB-Fernverkehr, die ich an ihrem Heimatort Berlin per Telefon erreiche, sagt: »Die Bürger fahren nur noch, wenn es nicht mehr anders geht. Die Fahrgäste benehmen sich im Moment super.« Es seien vor allem Berufspendler unterwegs sowie Menschen, die mit großen Koffern von Reisen zurück kämen und jetzt – oft nach Stornierung ihrer Flüge – mit der Bahn nach Hause führen. 30 bis 50 Fahrgäste seien gestern in einem Zug gewesen, der sonst mit 350 Fahrgästen besetzt sei. »Einer hat sich sogar bei mir entschuldigt: ›Sorry, dass ich mitfahre, ich muss nach Hause‹«. Ein Kollege habe von einer älteren Dame als Dank für seinen Einsatz Schokolade geschenkt bekommen.

»Das macht mir Hoffnung, dass die Menschen etwas mehr zu schätzen lernen, was für ein privilegiertes Leben wir in Deutschland haben«, sagt die Zugbegleiterin. «Vielleicht fallen dann im Zug auch in Zukunft öfter die Wörter ›bitte‹ und ›danke‹ – ein bisschen mehr Freundlichkeit würde dem Land gut tun.« Dem kann ich mich nur anschließen. Und weil die Kanzlerin es in ihrer Ansprache vergangene Woche vergessen hat – danke liebe Eisenbahner, dass ihr weiter arbeitet und in der Corona-Krise so viel dazu beitragt, das Land am Laufen zu halten.