Keine freie Bahn für das Virus

Soll man in Bus und Bahn einen Mundschutz tragen? Mehrere erhellende Studien brachten unseren Kolumnisten dazu, seine Meinung zu dieser Frage zu ändern.

Illustration: Nishant Choksi

Ich dachte, ich hätte so gut aufgepasst mit meinem Infektionsschutzprogramm fürs Bahnfahren und den öffentlichen Raum insgesamt – keine Oberflächen berühren und wenn doch, dann Hände waschen oder desinfizieren. Aber reicht das dieser Tage aus? Denn es gibt ja noch den Kontakt zu anderen Fahrgästen und den Zugbegleitern. Natürlich sind derzeit viel weniger Menschen unterwegs als sonst, und bei meinen wenigen Fahrten im öffentlichen Nahverkehr war es zuletzt im Waggon meist möglich, Abstand zu halten. Spätestens beim Ein- und Aussteigen sind die zwei Meter Distanz aber oft Illusion. Umso mehr, da die Bahn und die privaten Anbieter inzwischen viele Verbindungen gestrichen haben. Etliche Leserinnen und Leser dieser Kolumne haben mir per Mail und über Facebook davon berichtet, dass sich als Folge dieser Maßnahme leider wieder regelmäßig Menschentrauben an den Türen bilden.

Sollten sich Fahrgäste und Zugbegleiter also mit einfachen Masken schützen? Vielerorts, zum Beispiel hier, las man in den vergangenen Wochen, dass diese nutzlos seien, um den Träger vor einer Infektion mit Sars-Cov2 zu bewahren. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung etwa rät nicht dazu eine Maske zu tragen, weil es keine hinreichenden Belege dafür gebe, »dass das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes das Risiko einer Ansteckung für eine gesunde Person, die ihn trägt, verringert«. Deshalb war ich bislang weit davon entfernt, bei meinen wenigen Ausflügen in den öffentlichen Raum eine Maske aufzusetzen.

Was mich allerdings hätte stutzig machen sollen: Die BZgA schreibt wenige Absätze oberhalb des oben zitierten Absatzes über das neuartige Coronavirus: »Der Hauptübertragungsweg in der Bevölkerung scheint die Tröpfcheninfektion zu sein. Diese Übertragung kann direkt von Mensch zu Mensch erfolgen, wenn Virus-haltige Tröpfchen an die Schleimhäute der Atemwege gelangen.« Aber verringert nicht jedes abgefangene Tröpfchen die Wahrscheinlichkeit einer Infektion? Das ist nicht nur logisch, sondern es gibt dafür auch genügend Hinweise in der wissenschaftlichen Literatur.

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Die Masken stellen natürlich keinen hundertprozentigen Infektionsschutz dar, aber sie halten einen großen Teil der Tröpfchen auf

Eine Studie, in der es um Bahnfahren geht, habe ich bisher nicht gefunden – aber zumindest eine über ein anderes öffentliches Verkehrsmittel. Auf einem Flug von New York nach Hongkong im Jahr 2009 infizierten sich neun Menschen mit der Schweinegrippe. Sie wird wie Sars-Cov2 durch Tröpfcheninfektion übertragen. Wissenschaftler verglichen im Nachhinein das Verhalten der Erkrankten mit einer Kontrollgruppe von anderen Passagieren aus der gleichen Maschine. Es zeigte sich, dass keiner der Infizierten eine Maske getragen hatte – im Gegensatz zu 47 Prozent der Nicht-Infizierten. Klar, das könnte noch Zufall sein. Aber wenn die renommierte Wissenschaftsorganisation Cochrane Collaboration in einer Meta-Analyse zu dem Schluss kommt, dass Masken wirkungsvoll sind (übrigens sind einfache OP-Mundschutze demzufolge genauso effektiv wie die FFP2- und FFP3-Masken), wenn man sieht, dass Hongkong und Südkorea die Epidemie in den Griff bekommen haben, wo quasi alle Menschen Masken tragen, dann kann man schon zum Schluss kommen, dass Masken helfen.

Man stelle sich vor, zu Beginn der HIV-Pandemie hätten offizielle Stellen wie die BZgA verlautbaren lassen: »Dass Kondome schützen, ist nicht hundertprozentig sicher, also verzichtet doch besser darauf«. So hören sich die offiziellen Botschaften über Masken für mich an. Klar, es gibt viel zu wenig Mundschutze im Moment, und wenn Privatleute sie dem medizinischen Personal wegkaufen würden, wäre das eine Katastrophe. Deshalb sind die Kampagnen für selbst gemachte Masken so gut und wichtig. Diese stellen natürlich keinen hundertprozentigen Infektionsschutz dar, aber sie halten einen großen Teil der Tröpfchen auf und reduzieren dadurch die Infektionswahrscheinlichkeit für Gesunde, genauso wie das »Social Distancing« und das regelmäßige Händewaschen. Zudem kann man nie wissen, ob man einer der asymptomatischen Covid-19-Fälle ist; in diesem Fall würde man durch Tragen einer Maske andere schützen. Wer im Moment gar trotz Erkältungssymptomen ohne Mundschutz unterwegs ist, handelt in meinen Augen unverantwortlich.

Gestern bin ich eine Station mit der S-Bahn gefahren, um zum Joggen in einen Park zu kommen, in dem nur wenige Leute unterwegs sind. Ich trug einen improvisierten Schutz über Mund und Nase. Es waren etwa 30 Fahrgäste im Zug, neben mir trug nur noch ein anderer Mann eine Maske. Aber das wird sich hoffentlich bald ändern – zu unser aller Schutz.