Aufbauende Neubauten

Mit der Fertigstellung der Synagoge, dem neuen BMW-Gebäude, den Umbauten der Innenstadthöfe und den wichtigsten Hochhausprojekten ist Münchens neue Fassade vollendet. Beginnt damit nach dem Wiederaufbau der Nachkriegszeit und der Modernisierung vor den Olympischen Spielen 1972 eine neue Epoche? Ein Gespräch mit den führenden Wissenschaftlern für Städtebau.

SZ-Magazin: Was fällt Ihnen ein, wenn Sie an München denken?
Richard Burdett und Philipp Rode:
Ein Bild von der Frauenkirche und am Horizont das Alpenpanorama.

Das klingt nach Provinz – als Münchner hat man den Eindruck, das Stadtbild hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Sieht man das im Ausland auch so?
Noch immer sind es die neoklassizistischen Gebäude, die man mit München verbindet: die Ludwigstraße, die Leopoldstraße und die Prinzregentenstraße. Mit dem jüdischen Gemeindezentrum, dem Gelände um den Marstall und den Fünf Höfen sind die letzten Lücken in Münchens Innenstadt geschlossen worden. Im Verhältnis zur Größe einer Stadt sind das eher kleine kosmetische Verschönerungen. In München hat es ja seit 1945 drei verschiedene Phasen in der Stadtplanung gegeben. Direkt nach dem Krieg wurde München wieder aufgebaut – als Stadt, die sich an den Grundsätzen der Vorkriegsbebauung orientiert. Anders als Frankfurt. Dort wurde mit neuen städtischen Grundrissen und Gebäudetypologien gearbeitet, wie es vor allem die Innenstadt mit ihren vielen Hochhäusern veranschaulicht. In den frühen Siebzigerjahren setzte München dann durch die Olympischen Spiele auch international im Städtebau und in der Architektur Akzente: Das Olympiastadion muss man da zuerst nennen, das Olympische Dorf und natürlich das U-Bahn-Netz. All das gehört heute selbstverständlich zu München und hat der Stadt sicherlich einige modernere Wahrzeichen wie zum Beispiel den Fernsehturm und die einst richtungweisende Dachstruktur von Günter Behnisch für das Olympiastadion eingebracht. Wie sieht es heute aus?
Erst seit Kurzem steht neben der Alten Pinakothek die Pinakothek der Moderne, die Oper wurde mit einem Neubau verbunden, auf dem Jakobsplatz entstand ein extrem modernes Gebäude. Bis diese neuen Bauwerke sich ins Stadtbild hineingefressen haben, dauert es aber noch. Die aktuelle Städtebauphase wird sicherlich am besten durch die neue Achse zum Flughafen, die zahlreichen Dienstleistungsunternehmen in Garching und Unterföhring sowie natürlich die AllianzArena von Herzog & de Meuron verdeutlicht.

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Wie hat die Arena das Image von München verändert?
Mit architektonisch beispielhaften Sportstadien hat München bereits Übung. Die Arena ist für die Stadt ein weiteres sehr modernes Symbol geworden, das ja auch international im Rahmen der Fußballweltmeisterschaft äußerst positiv aufgenommen wurde.

Machen diese neuen Gebäude München moderner?
Sie sind ein Ausgleich zu den historisierenden Gebäuden. München als cool oder hip zu beschreiben, fällt dennoch schwer. Auch ob Gebäude allein so etwas leisten können, ist fraglich. Modernität hingegen kann durch Architektur bewusst betont werden. Neben den bereits genannten Bauten ist BMW aktiv bemüht, ein solches Image zu pflegen, sei es in der Vergangenheit mit dem Zylinderhochhaus oder gegenwärtig mit dem CoopHimmelblau-Projekt. Das bringt natürlich auch der Stadt ein gewisses Ansehen.

Was sagen Sie zur Hochhausdebatte?
Viele Münchner befürworten ja, dass die Häuser in München nicht höher als 99 Meter sein dürfen. Ob man dadurch ein Stadtbild erhalten kann? Stellen Sie sich mal vor, Sie haben überall gleich hohe Häuser. Dann kann man die einzelnen Gebäude, und sei es das Wahrzeichen von München, also eine Kirche, gar nicht mehr erkennen. Weil sich die Höhe nicht mehr unterscheidet. Gibt es dagegen hohe und niedrige Gebäude, wird man immer auch die kleinen, älteren Gebäude wahrnehmen. Die St.-Pauls-Kathedrale in London ist hier ein gutes Beispiel und verdeutlicht, wie man gekonnt mit der »DNA« einer Skyline umgehen kann.

Was ändert ein Stadtbild unabhängig von moderner Architektur?
Der Wandel eines Stadtbilds entsteht vor allem durch seine veränderte Nutzung, beispielsweise wenn Industrieanlagen zu Wohngebäuden werden. Außerdem macht es die Neuorganisation des Eisenbahnverkehrs möglich, ehemalige Gleisanlagen für urbane Zwecke freizugeben. Die Diskussion in Stuttgart, wo der Schienenverkehr am Hauptbahnhof unter die Erde gelegt werden soll, führt ja auch in München zu ähnlichen Überlegungen. So werden oft ganze Stadtviertel neu erschlossen und anders als früher genutzt, so wie in London die Docklands. Und trotzdem: Die Mischung aus Tradition und Moderne gelingt in München sehr gut. Sie ist ja auch zum geflügelten Wort geworden, gar nicht mal auf die Architektur bezogen.

Sie meinen: Hochhaus und Herrgottswinkel?
Für Münchner nichts Neues, aber es steckt sehr viel Wahres in diesem Klischee. Die eher kleine Metropole denkt tatsächlich darüber nach, eine Transrapid-Strecke zu bauen. Und bei all der Liebe zu Hightech vergessen die Münchner auch seit Jahrzehnten nicht, ein ziemlich gutes Trambahn-Netz zu pflegen. Eine Verkehrstechnologie, die zwar schon weit über hundert Jahre alt ist, aber mehr als alle anderen motorisierten Verkehrsmittel in den letzten Jahren zu einem neuen Verständnis von Stadt- und Verkehrsplanung geführt hat. Sie gilt mittlerweile als modern, hip und urban. Die Hightech-Industrie wiederum steht in München wie in den meisten Städten weltweit nicht für Urbanität, sondern eher für öde und sterile Bebauung auf der grünen Wiese. Wenn gesagt wird, München bedeutet Hightech, darf man sich nicht vorstellen, dass in den Cafés in der Innenstadt überall Leute während ihrer Arbeitszeit sitzen und, wie in London oder New York üblich, mit ihren Laptops den Bedarf nach einem »permanenten« Büro ersetzen.

Was macht München besonders?
Wenn man von London aus München betrachtet, muss man die Lebensqualität an erster Stelle nennen. Von dem Münchner Freizeitan-gebot im Grünen und der Nähe zu den Alpen kann London nur träumen. Der schnelle und einfache Zugang zur Natur ist ein grundsätzlicher Vorteil von kompakten Städten. München bietet doch glatt die Möglichkeit, mitten im Zentrum im Fluss schwimmen zu gehen. Und das sogar nackt. Hier gibt München den Ton an und es wird hoffentlich nicht mehr lange dauern, bis auch Themse, Hudson und Seine zum innerstädtischen Bad einladen. Ein weiterer Pluspunkt: München hat gut ausgebaute Radwege.

In München wurde der Mittlere Ring untertunnelt und dadurch mehr Grünflächen geschaffen. Wie schätzen Sie dieses Projekt ein?
München möchte sich hier im Prinzip einen Widerspruch leisten: Hohe Kapazitäten für den Autoverkehr und zugleich städtische Lebensqualität. Zwangsläufig ist dieses Vorhaben mit enormen Kosten verbunden, die man hier politisch nicht zuletzt deshalb durchsetzen kann, da es sich um den Standort von BMW handelt. Trotzdem, man täuscht darüber hinweg, dass Urbanität und Verkehr nur zu einem sehr geringen Grad miteinander vereinbar sind. Städte leben von öffentlichen Räumen, in denen sich Menschen zufällig bei unterschiedlichsten Aktivitäten begegnen. Erst Öffentlichkeit macht aus Ansammlungen, sogenannten Agglomerationen, interessante, lebendige Städte.

Was unterscheidet die Wohnsituation in München von anderen Städten?
In keiner anderen europäischen Stadt gibt es so viele Einpersonenhaushalte wie in München. Natürlich haben wir ähnliche Tendenzen in den meisten Städten, eine Rate von weit über 50 Prozent ist dennoch ungewöhnlich. Wir dürfen daraus jedoch nicht schließen, dass es sich nur um Singles handelt. Moderne Familien- und Beziehungsstrukturen erzeugen oftmals auch getrennte Haushalte, vor allem wenn genügend Geld vorhanden ist. Das ist sicherlich ein wesentlicher Faktor in einer vergleichsweise reichen Stadt wie München.
Ist München also doch lässig, modern und fortschrittlich?
Es ist ein Klischee, aber trotzdem: In der Kategorie Lässigkeit wird Berlin aus dem Ausland wesentlich stärker wahrgenommen als München. So wird zum Beispiel die Kunstszene dort oft in einem Satz mit New York und London genannt. Auch scheint Berlin für eine gewisse Weltoffenheit zu stehen, die mit einer größeren Toleranz von Lebensstilen und Orientierungen einhergeht. Rom und Mailand oder Madrid und Barcelona haben übrigens eine ähnliche Konkurrenz. Aber eine Städtediskussion aus diesem Blickwinkel ist vermutlich schon zu oft geführt worden.

Richard Burdett (links) ist Professor für Architektur und Städtebau an der »London School of Economics and Political Science« und Design-Berater der Olympischen Sommerspiele 2012 in London. 2006 war er Kurator der 10. Architektur-Biennale in Venedig. Sein Kollege Philipp Rode leitet die Konferenzreihe »Urban Age – das Zeitalter der Städte« des Cities Programme, veranstaltet von der London School of Economics und der Alfred Herr-hausen Gesellschaft. Für dieses Gespräch haben Burdett und Rode ihr Fachwissen zusammengebracht.