Villa Kunterbunt

Wandfarbe allein macht nicht glücklich. Es muss auch die richtige sein.

Der unbedachte Umgang mit Wandfarben greift auch in Miezhäusern um sich.

Wer die Ausmaße des deutschen Farbschadens erahnen möchte, muss über Land fahren. Gern in strukturschwache Gebiete, gern in die Neubausiedlungen der strukturschwachen Gebiete. Nein, das ist in diesem Land kein Widerspruch. Dort also kann man ausgezeichnet Fassaden-Bingo spielen, es geht so: Zur Auswahl stehen Schrilltürkis, Neongrün und Knallapricot. Man wettet, welche der drei Signalfarben als Erste am Straßenrand auftaucht, und wer richtig gesetzt hat, darf sich dann als Einziger die Augen zuhalten.

Diese regelmäßigen Außenfarb-Verbrechen sind durchaus verständlich. Sie fußen auf dem Bedürfnis, das grau-holzbraune Einerlei eines fränkischen Dorfes, einer pommerschen Tiefebene mal mit ein bisschen Fröhlichkeit zu bestreichen – auf der Grundlage der falschen Vermutung, dass Bunt und Grell Heiterkeit bedeuten und dass eine derart öffentliche Entscheidung für auffällige Farben mit Selbstbewusstsein und Mut gleichzusetzen ist. Das ist der Farbschaden der Deutschen. Wir fügen ihn uns zu, weil wir so oft für charaktergrau und pflichtlangweilig befunden werden. Als Hausbewohner hat man dann wenig von der Farbe außen. Ungefragt zwangsfröhlich werden da eher die Nachbarn, wahrscheinlich werden sie aber etwas anderes.

Natürlich dürfen Häuser grundsätzlich Farbe haben und müssen nicht den fifty shades of grey der mineralischen Putze überlassen werden. Aber wer sich mit farbstiftenden Absichten trägt, sollte sich zuvor vielleicht mal auf eine schöne Reise begeben und studieren, wie Häuser in dänischen Fischerdörfern, britischen Grafschaften oder auch auf oberösterreichischen Marktplätzen gestrichen wurden – und warum es sich dabei niemals um Farbtöne handelt, die in einem deutschen Baumarkt im Angebot sind.

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Egal ob Außen- oder Innenfarbe, der Baumarkt ist ohnehin ein Problem. Besser gesagt, das von ihm ausgehende Versprechen, alles selbst machen zu können. Die trostlosen Farbmischcenter, in denen man dann im Baumarktlicht mit Farbplättchen rumfummelt, um sich schließlich von einer Maschine einen Farbton zusammenschütteln zu lassen, der für die nächsten Jahre das eigene Zimmer oder gleich das ganze Dorfbild prägen wird, sind eine Zumutung. Überhaupt, was für ein fürchterlicher Ansatz – eine Maschine, die alle Farben erzeugen kann! Als gäbe es auch eine Maschine, die alle Gerüche der Welt erzeugen könnte, und die Menschen sollten sich da gefälligst ihr Parfüm mischen, das sie dann jahrzehntelang tragen. Damit wären sie doch ebenso überfordert, wie sie es mit den vierhundert Farbplättchen sind. Letzteres gibt man aber natürlich nicht zu vor dem Baumarktknilch. Das Ganze endet dann in einer Wohnzimmerwand in warmem Terrakotta, aufgetragen mit pfiffiger Wischtechnik, und das Thema Farbe im Wohnraum ist pflichtschuldig abgehakt.

Mittelfristig scheut man danach weitere Farbübungen in den eigenen vier Wänden, auch wegen des Vermieters und so. Die weiße Wand oder rohe Raufaser ist hierzulande immer noch gesetzt, was zum Beispiel durchreisenden Amerikanern besonders auffällt. In den USA hat sich längst ein Wohnempfinden etabliert, das jemandem mit überwiegend weißen Wänden eine zwanghafte Nüchternheit attestiert, eine leicht klinische Störung. Das ist immer noch eine Aufarbeitung von zweihundert Jahren Puritanismus. Damals galten farbige Wände als Zeichen von Eitelkeit. Der Fall eines Priesters in Charlestown ist überliefert, der im 17. Jahrhundert der Gotteslästerung bezichtigt wurde, weil er ein Zimmer seines Hauses koloriert hatte. Mit welcher Farbe das Verbrechen begangen wurde, ist leider nicht überliefert. Progressive Geister setzten sich über diese Einschränkung bald darauf hinweg. Es gibt einen Brief, den George Washington direkt von der Front geschrieben haben soll: Darin drückt er zunächst sein Bedauern über die Nachricht aus, dass die grüne Wandfarbe in seinem Wohnzimmer daheim nicht recht wirken will. So ernst muss man die Sache nehmen!

Also, wer Farbe in seine Wohnung tragen möchte, sollte das unbedingt tun, aber vorab bitte verstehen, dass es sich dabei um eine sinnliche Handlung handelt und sie deswegen nicht in einem Baumarkt beginnen kann. Sie beginnt stattdessen lieber bei Goethe. Der hat nicht nur eine Farbenlehre niedergeschrieben, sondern sich auch mit Farben umgeben. Bei allen Dingen, die guten Stil betreffen, ist Abschauen wichtig. Wo könnte man vornehmer spicken als bei einem feinnervigen Großdichter? Der hielt nur Küche und Schlafgemach in neutralem Weiß, was angesichts der mutmaßlichen Lustbarkeiten hier wie dort bemerkenswert ist. Arbeitszimmer? Grün! Lenkt nicht ab, notierte Goethe. Außerdem machten sich seine Naturaliensammlungen davor gut. Treppenhaus ebenso grün. Dienerzimmer und Saal – gelb. Weil gelb, freilich war es bei ihm ein eher distinguiertes Senfgelb, das heiteres Beisammensein fördern und im Falle der Dienerschaft auch zur Flinkheit animieren sollte. Ganze fünf Zimmer waren in Blau gehalten, in dem der Meister einen angenehmen Widerspruch von Reiz und Ruhe fand und bei dem außerdem die gehängten Bilder gut zur Geltung kamen. Das Interessanteste am Studieren dieser Weimarer Hipsterwohnung: Goethes Lieblingsfarbe war Purpur. Aber es gibt keine Purpurwand bei ihm. Er ist nicht der heute verbreiteten Annahme erlegen, man müsse seine Lieblingsfarbe dadurch würdigen, dass man sie breitflächig um sich herum verstreicht.

So ungefähr werden Goethes Überlegungen übrigens auch durch eine sogenannte Cocktailparty-Studie aus der Gegenwart bestätigt, bei der Menschen in farbigen Zimmern Party machen sollten. In Gelb gelang das wesentlich besser als in Blau, dorthin ging man lieber zum Entspannen. Im roten Zimmer bekamen die Probanden Hunger, den sie dann aber lieber in Gelb stillten. Interessant, nicht wahr?

Aber keine Angst, wer malern will, muss keine farbtherapeutischen Abendkurse besuchen, auch wenn ein Buch wie Faber Birrens Color Psychology and Color Therapy eine erstaunlich unterhaltsame Lektüre ist. Nein, einfach ein bisschen was für die britischen Devisen tun und dort Farben kaufen. Die Engländer haben nicht nur einen beneidenswert sicheren Umgang mit Zimmerfarben, sie haben auch einige der besten Hersteller. Was man etwa in einer Boutique von Farrow & Ball in die Hand gedrückt bekommt, sind zwar auch nur Farbtafeln, aber schon ihre Namen sind verheißungsvoller als ein ganzer Baumarktprospekt: »Cooking Apple Green«, »Moles Breath«, »Smoked Trout«. Das Bemerkenswerte ist, dass die Farbtöne dann auch genauso aussehen und ein Arbeitszimmer in »Maulwurfatem« trotz aller Befürchtungen entzückend vornehm wirkt. Nach einer halben Stunde hat man in so einem Laden (die Filialen von Little Greene sind ebenso empfehlenswert) nicht nur neue Farben kennengelernt, sondern auch neue Lieblingsfarben. Dazu werden jeweils passende Komplementärtöne angeraten, und die Erläuterungen der einzelnen Nuancen sind für sich schon eine Bereicherung, wie etwa bei »Calke Green«: »Das ist eine unmittelbar auf der überarbeiteten Variante aus dem Frühstückszimmer der Calke Abbey basierende Farbe.« Sehr wohl!

Die Kompositionen sind also wohnerprobt, das meiste sogar von Adel, es sind eben wirklich Farben und nicht einfach nur Mixturen. Außerdem gibt es zwischen Kreidematt und Hochglänzend vier Abstufungen im Finish, was jeweils noch mal eine andere Stimmung, eine andere Zimmerwand bedeutet – ein Umstand, der vielen Ad-hoc-Pinslern vielleicht nicht bewusst ist. Das Bilderbuch, das Farrow & Ball alle paar Jahre herausgibt, hat sich zum Standardwerk gemausert und zeigt, wie kleine und große Räume mit ein bisschen (okay, viel) Farbe tatsächlich zu erhabenen Wohnräumen werden und wie Farbe auch typische Mängel wie zu wenig Tageslicht, niedrige Decken oder das Fehlen von Struktur wettmachen kann. Ein gut gestrichenes Zimmer ist wie ein englischer Maßanzug, es verbirgt die Schwächen und arbeitet die Stärken der Substanz heraus.

Unter uns gesagt, sind das Beste aber die Probetöpfchen, die man für ein paar Euro mitnehmen kann und die locker reichen, um eine alte Obstkiste oder einen Balkonstuhl zu verwandeln. Das Herumspielen transportiert am besten die simple Freude, die man mit Wohnfarben haben kann. Nur ein paar Tupfer »Yellowcake« am Vorabend des Sommers in der Wohnung verteilt, schon wird man morgens schneller wach. Nur ein Fach des »Billy«-Regals in Little Greenes fantastischem »Dorchester Pink« streichen, und jedes Buch darin wird wieder lesenswert. Diese kleinen Schritte nehmen einem die überzogene Ehrfurcht – los mit dem Probetopf, Farbe erfahren. Zusehen, wie sie trocknet, wie sie sich zwischen dem ersten und zweiten Anstrich verändert, wie sie im Licht wirkt und im Schatten, das ist das kleine Erlebnis, das vor jeder großen Wand stehen sollte. Am Ende hat man eine Menge bemalter Obstkisten und vielleicht eine Ahnung, mit welchen davon man sich eine Wohnung teilen könnte.

(Foto: Burton Silver aus dem Buch »Warum Katzen malen«)