Liebe Jungs aus dem Westen,
ich mag euch. Ich mag euch wirklich. Es gibt ein paar tolle Exemplare unter euch, meine längste gute Zeit hatte ich mit einem Westfalen. Aber erstens ist das lange her, und zweitens war er wohl doch eine Ausnahme. Denn er war weder eitel noch egoman und er fand es klasse, dass ich ihn eroberte – und nicht umgekehrt. Ihr Westjungs wollt ja lieber Zicken jagen, und wenn man euch auf der Straße anlächelt, einfach so, dann grimmt ihr einen an, als hätte man euch in den Schritt gefasst. Jedenfalls in meinem Kiez in Berlin-Mitte.
Mich also überrascht es nicht, dass ich bei der Suche nach dem Lebensmann wieder bei einem Ossi gelandet bin. Nach Irrwegen bin ich mir nun im Klaren: Ich will nur noch einen, der keine Angst vor Frauen hat. Weder vor ihren Gefühlen noch vor ihrer Durchgedrehtheit noch vor ihrer Selbstständigkeit. Einen, der (gut) damit leben kann, dass seine Freundin unter Umständen auch schlauer, mutiger oder – besonders heikel – erfolgreicher ist. Und der sich dennoch Manns genug fühlt.
Unsere Jungs, die aus dem Osten, haben bei dieser Suche besser abgeschnitten. Sie sind mit Müttern groß geworden, die arbeiten gingen, die Chefs waren, oft auch zu Hause. Um ihre Emanzipation mussten sie nicht kämpfen, höchstens um ein paar Apfelsinen in der Kaufhalle. Abhängigkeit kannten sie nicht, lediglich emotionale. Ein Grund auch, warum ihre Töchter heute weniger einen Versorger suchen oder einen, der gleich heiraten will. Wir Ostmädels können auch ohne Trauschein.
Dass Geschmäcker wie meiner allerdings der Grund dafür sein sollen, dass heute gerade einmal vier Prozent aller Ehen zwischen Ossis und Wessis geschlossen werden, halte ich für ein Gerücht. Denn auch Nord- und Süddeutsche kommen nicht öfter zusammen, sagen die Statistiker. Es liegt wohl eher an der Entfernung. Deshalb gibt es auch mehr deutsch-türkische Liebesallianzen als ost-westliche in unserem Land, gerade in den Großstädten. Und wer kann schon sagen, wie viele Ossis und Wessis in wilder Ehe miteinander leben?
Ich jedenfalls kenne einige: Mein Bruder John, Anfang 30, ist das aktuellste Beispiel. Nicht mal Gesinnungsunterschiede beim reiferen Semester verhindern die Ost-West-Allianz heutzutage, das belegen Iris Berben und Sarah Wagenknecht. Während die eine, die sich sehr politisch gibt, einen ehemaligen Stasi-Mann liebt, ist die andere, Linken-Politikerin und bekennende Kommunistin, mit einem westdeutschen Unternehmer verheiratet, sprich: mit einem Kapitalisten.
Eigentlich habt ihr Westjungs vor Jahren auch bei mir mal offene Türen eingerannt. Denn uns Ostfrauen, die wir zur Wendezeit 19, 20 Jahre alt waren, gerieten die eigenen Männer lange Zeit aus dem Blick. Wir gierten nach Kerlen, die uns was erzählen konnten von der Welt, die gern auch ein bisschen arrogant und großmäulig sein durften. Mit solchen waren wir eindeutig unterversorgt, aber sie ritten seinerzeit mehr als genug in die Zone ein, oder wir Ostmädels trafen sie im Westen, wohin viele von uns ihrerseits sehnsüchtig aufgebrochen waren. Diesen neuen Typ Mann wollten wir unbedingt – bis sich seine Coolness als Kaltschnäuzigkeit und seine Lockerheit als Rückgratlosigkeit entpuppten.
Dann entdeckten wir die Ostmänner wieder, die sich bis dahin (jedenfalls viele von ihnen) ordentlich gemacht und an Weltgewandtheit zugelegt hatten. Inzwischen hingen auch bei ihnen Helmut-Lang-Hemden im Schrank, sie hielten Aktionäre nicht mehr für Friedensbewegte und machten den Mund auf, wenn im Restaurant das Steak »well done« statt »medium« kam.
Nun gefielen plötzlich auch Frauen aus dem Westen unsere Jungs. Früher hatten sie diese nur als Loser wahrgenommen, mit schlechtem Geschmack und ohne Kohle. Aber nun, zermürbt von einem nervigen Liebesmarkt, dem die Verbindlichkeit abhandengekommen war, legten wir West- und Ostfrauen um die Dreißig uns alle dasselbe Beuteschema zu: Nicht die Verpackung, sondern der Inhalt zählte.
Wir wollten keinen mehr, der uns schon beim ersten Mal mit seinem Porsche, seinem Loft oder seinen Aufstiegschancen vollschwatzte, wir wollten einen, mit dem man reden konnte, der zuverlässig war und sich nicht in Luft auflöste, wenn wir uns als zutraulich erwiesen. Ein »Müsli« oder »Softie« oder einer, der zum Jagen getragen werden will, musste er freilich dennoch nicht sein.
Heute glaube ich zwar nicht, dass es einen von der großen Liebe abhält, wenn der eine »Mama« und der andere »Mutti« sagt oder »an« oder »zu« Weihnachten gefeiert wird. Aber für mich fühlt es sich einfach gut an, dass der Liebste einen ähnlichen Erfahrungsschatz teilt.
Dass er mit den gleichen Trickfilmen, der gleichen schlechten Schokolade und den gleichen obligatorischen Ostsee-Sommerferien hinterm selbst genähten Windschutz groß geworden ist. Dass wir lachen müssen, wenn wir uns erinnern, wie sehr wir uns nach einer Wrangler verzehrten und wie öde dieser ganze FDJ-, DSF- und GST-Mist war: Vereine, Organisationen, in die wir reinmussten und qua Eingeschüchtertheit auch hineingegangen sind. Und es fühlt sich gut an, dass einer nicht zusammenzuckt, wenn man sich an das eine oder andere im Unrechtsstaat gern erinnert. An die Arglosigkeit beispielsweise, die uns allen eigen war.
Vielleicht – aber das ist nun wirklich meine These, und sie gilt auch nur für die, die zur Wende schon fertige Menschen waren – findet man am Ende nur erfolgreich am Tisch zusammen, wenn man die gleichen Macken, Marotten und Minderwertigkeitsgefühle hat, gespeist aus Erziehung, Schule und Sozialisation. Egal ob die Kindheitshelden »Asterix und Obelix« oder »Pittiplatsch und Schnatterinchen« hießen. Von daher also, relaxt, Westmänner! Ansonsten zählt das ganz banale Mann-Frau-Ding. Und das hat Millionen Facetten. Für meine Großmutter, eine kluge und schöngeistige Frau, hatte es nur diese eine: Klappt es im Bett nicht, klappt es auch sonst nicht.
Illustration: cyan