Die Gewissensfrage

»Ich habe mich ziemlich heftig in einen Mann verliebt, so stark wie erst einmal in meinem Leben. Das Problem: Er hat seit über sechs Jahren eine Freundin. Wir haben uns vor einem Jahr rein freundschaftlich kennengelernt, aber langsam wurde immer mehr daraus. Für mich ist inzwischen klar, was er mir bedeutet, und ich glaube, auch ihn lässt die Sache nicht kalt. Meine Frage ist nun: Darf ich in dem Wissen, dass er bereits gebunden ist, ungeniert mit ihm flirten, mit dem eindeutigen Ziel, dass wir mehr werden als nur Freunde?« BARBARA B., KÖLN

»Love knoweth no laws«, schrieb der englische Renaissanceschriftsteller John Lyly 1579, woraus die Redeweise »All’s fair in love and war« wurde – »Im Krieg und in der Liebe sind alle Tricks erlaubt.« Daneben vertrete ich die Meinung, dass ein voll-jähriger Mensch selbst wissen muss, was er tut, und damit hier, ob er auf ein Werben eingeht. Für die jetzige Partnerin gilt, dass sie kein verbrieftes Anrecht auf die Beziehung hat: Man kann einen Menschen nun einmal nicht besitzen. Als Romantiker wünsche auch ich nichts mehr als ewige Liebe, aber niemand kann ein Gefühl auf Dauer garantieren. Gewiss, die langjährige Beziehung hat den Vorzug, dass sie sich bewährt hat, tragfähig ist, nicht nur eine kurze sexuelle Begierde. Auf der anderen Seite ist das, was viele Paare zusammenhält, vor allem Gewohnheit. Das kann besser sein als allein zu leben, aber es ist schlechter als echte Liebe, wenn die denn kommt. Die Chance auf diese echte dauerhafte Liebe darf man als Wert nicht vernachlässigen – zumal die Gefühle ja groß zu sein scheinen. Es spräche also so manches dafür, Ihnen grünes Licht zu geben.Dennoch stört mich etwas. Vielleicht bin ich wirklich zu sehr Romantiker, aber für mich hat eine bestehende Beziehung – unabhängig von kirchlichen Treueschwüren – etwas Besonderes, fast Heiliges, ein Angriff darauf damit etwas Zerstörerisches, Teuflisches. Vielleicht ist es auch nur, dass ich eine Bezie-hung als etwas empfinde, was den Partnern gemeinsam gehört. Das kann nun jeder von beiden aufgeben, er bleibt ein freier Mensch – mit Verantwortung für den anderen und das Leid, das er ihm zufügt. Ein Außenstehender aber hat dieses Recht nicht, er darf den gemeinsamen Besitz der Partner nicht aktiv zerschlagen, um sich selbst amourös zu bereichern. Mein Fazit deshalb: Interesse bekunden, ja, alle Register ziehen, nein.