Sie erwarten doch hoffentlich nicht wirklich eine Wahlempfehlung von mir? Oder Aussagen über sympathische oder unsympathische Parteien oder deren Vertreter? Von meiner persönlichen Einstellung ganz zu schweigen. Aber womöglich hilft es Ihnen zu erfahren, dass Ihr Konflikt gewissermaßen die innermenschliche Variante einer bekannten Diskussion in der politischen Philosophie darstellt: zwischen Liberalismus und Kommunitarismus. Ihre Überlegungen ähneln den jeweiligen Grundpositionen: Stehen Sie als Individuum im Vordergrund und Ihre persönlichen Rechte, wie es der Liberalismus vertritt? Oder die Gemeinschaft und die allgemeine Idee, was gut ist – der Standpunkt der Kommunitarier?
Zwar repräsentiert die von Ihnen grundsätzlich beargwöhnte FDP nicht unbedingt idealtypisch den philosophischen Liberalismus oder die von Ihnen bevorzugte politische Linke den Kommunitarismus. Dieser kann durch seine Rückbesinnung auf moralische Gemeinschaften sogar ausgesprochen konservative Züge annehmen. Wo Sie Ihr Kreuz in der Wahlkabine setzen, hängt davon ab, welcher dieser beiden Grundeinstellungen Sie zuneigen und welche konkreten Ziele Sie verfolgen. Ihr Recht als Bürger beinhaltet beide Möglichkeiten; und es wird auch die Theorie vertreten, dass bei einer Wahl das Gemeinwohl am besten durch die Summe der Eigeninteressen erreicht wird. Allerdings betrachte ich persönlich eine Stimmabgabe gegen die eigene Überzeugung zugunsten des persönlichen Vorteils eher skeptisch.
Sie können in einer repräsentativen Parteiendemokratie sozusagen nur Pakete kaufen. Mit Inhalten, die Ihnen teils gefallen, teils nicht. Sie müssen entscheiden, welche Ziele Sie dabei mittragen können und welche nicht. Es sei denn, Sie engagieren sich persönlich in der Politik, dann können Sie mitbestimmen, wie die Pakete zusammengeschnürt werden.
Weiterführende Literatur: Von staatsrechtlicher und staatstheortischer Seite her betrachtend sehr aufschlussreich mit einem Hinweis auf Ernst Fraenkels umstrittene These vom „Gemeinwohl-Vektor“: Bernd J. Hartmann, Eigeninteresse und Gemeinwohl bei Wahlen und Abstimmungen, Archiv des öffentlichen Rechts Band 134 (2009), S. 1-34 Haben Sie auch eine Gewissensfrage? Dann schreiben Sie an Dr. Dr. Rainer Erlinger, SZ-Magazin, Hultschiner Str. 8, 81677 München oder an gewissensfrage@ sz-magazin.de.
Marc Herold (Illustration)