»Wissenschaftliche Fakten überzeugen die Leute nicht«

US-Wissenschaftlerinnen sprechen mit einer neuen Kampagne gezielt Mütter an, um gegen die Klimakrise mobil zu machen. Ist das rückwärtsgewandt – oder genau der Impuls, der der Klimabewegung bisher fehlte?

Emily Fisher, Klimaforscherin an der Universität von Colorado, mit ihrer Tochter. Zusammen mit Katharine Hayhoe und Melissa Burt gehört sie zu den Gründerinnen der Science Moms, einer Vereinigung von Wissenschaftlerinnen, die mit innovativen Methoden gegen die Klimakrise kämpfen.

Foto: Vernée Norman/Potential Energy Coalition

Katharine Hayhoe, 48, ist eine weltweit renommierte Klimaforscherin. Sie ist Professorin an der Texas Tech University und Chefwissenschaftlerin der gemeinnützigen Organisation The Nature Conservancy. Deshalb ist es überraschend, wenn sie gleich zu Beginn des Zoom-Gesprächs sagt: »Mehr Wissenschaft ist nicht die Lösung.« Stattdessen beginnt sie ihr Klima-Webinar für Erwachsene mit der überbordenden Fröhlichkeit einer Animatorin. »Was ist euch wichtig? Legt los, ich will verschiedene Antworten hören!« Schon rufen die rund 100 Teilnehmer der kostenlosen Video-Veranstaltung ihre Prioritäten in die Zoom-Kamera: Meine Kinder! Meine Gesundheit! Saubere Luft! »Seht ihr«, sagt Hayhoe dann, »der Klimawandel selbst steht zwar nicht auf eurer Prioritätenliste, aber der Klimawandel wird alles beeinträchtigen, was euch wichtig ist.«

Hayhoe, Mutter eines dreizehnjährigen Sohnes, ist die bekannteste unter den Gründerinnen der Science Moms, einer Koalition von Klimawissenschaftlerinnen, die aus dem Stegreif die wichtigsten Fakten zur Klimaerhitzung zitieren könnten, dies aber absichtlich nicht tun. In den professionell gemachten Kampagnen-Videos sieht man Hayhoe und ihre Mitstreiterinnen dagegen mit ihren Kindern über Skipisten und Wanderwege tollen. »Das hat mich als introvertierte Person etwas Überwindung gekostet«, sagt ihre Kollegin Emily Fisher, Klimaforscherin an der Universität von Colorado, »aber wenn ich nicht alles versuche und mitmache, werde ich es ein Leben lang bereuen.«

Das Problem: Laut der Yale-Klimaumfrage von 2020 glauben zwar 72 Prozent der Amerikaner, dass sich das Klima erwärmt und damit Pflanzen, Tieren und künftigen Generationen schadet. Aber wenn man fragt, ob sie glauben, dass die Klimaerwärmung auch sie selbst beeinträchtigt, gehen die Zahlen massiv runter: Nur 26 Prozent der Amerikaner halten die Klimaerhitzung laut der Yale-Climate-Umfrage für »alarmierend«. Auch in Deutschland glaubt jeder Zehnte (11 Prozent) nicht, dass der Klimawandel von Menschen verursacht wird, und zwei Prozent glauben gar nicht daran, dass sich das Klima überhaupt verändert. 

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Genau hier kommt Hayhoe ins Spiel: »Die meisten Leute glauben, es schade den Eisbären auf ihrer Eisscholle oder Menschen in Afrika. Das hat mir das Hirn weggeblasen«, sagt sie. Das erklärte Ziel der Science Moms ist es, die Zahl der Menschen, die den Klimawandel als persönliches Anliegen zu begreifen, mindestens zu verdoppeln.

»Mütter vertrauen Müttern«, sagt Science Mom Melissa Burt, Wissenschaftlerin an der Colorado State University und Mutter der vierjährigen Mia. Umfragen zeigen, dass sich Mütter zwar große Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder und den Klimawandel machen, sich aber oft nicht trauen, aktiv über den Klimawandel zu sprechen, weil sie sich nicht sicher sind, was sie genau dazu sagen können und wie der aktuelle Forschungsstand ist. Genau in diese Lücke springen die Science Moms. Auf ihrer Webseite finden sich klare Fakten mit Links zu Studien, vor allem ist die Seite aber ein Aufruf zum Handeln.

MacKenzie Scott, die drittreichste Frau der Welt, Ex-Frau von Jeff Bezos und selbst Mutter von vier Kindern, ist eine der Geldgeberinnen hinter der 10 Millionen Dollar teuren US-Kampagne, die inzwischen laut den Organisatorinnen von 127 Millionen Menschen gesehen wurde. Es ist die größte Anzeigenkampagne für das Klima seit Al Gores Feldzug für seine unbequeme Wahrheit.

Gerade als (kinderlose) Autorin war ich mir erst nicht sicher, ob das Betonen der Mutterrolle wirklich sinnvoll ist – oder ob es nicht eher rückwärtsgewandt wirkt, wenn renommierte Wissenschaftlerinnen auf ihre Rolle als Mutter reduziert werden. Aber natürlich können die Klimawissenschaftlerinnen diese Strategie wissenschaftlich begründen. Hayhoe ist davon überzeugt, dass sie und viele andere Forscherinnen und Forscher »das Problem falsch angegangen« sind. Aus zahlreichen Studien und Umfragen weiß sie inzwischen: »Wir neigen dazu, die Menschen mit angstmachenden Informationen zu überlasten. Das ist kontraproduktiv – Angst lässt die Leute zumachen.«

Das »echte« Problem sei, dass die Leute glauben, Klimawandel betreffe sie nicht persönlich, sagt Hayhoe. »Psychologische Distanz« sei dafür der Fachbegriff. »Oft sagen Menschen, wir müssten die wissenschaftliche Forschung einfach besser erklären. Das ist genau meine Aufgabe als Wissenschaftlerin, ich habe die nationalen amerikanischen Analysen mitverfasst. Aber wissenschaftliche Fakten überzeugen die Leute nicht.«

Katharine Hayhoe, Professorin an der Texas Tech University, gehört zu den bekanntesten Klimaforscherinnen der USA und berät auch die US-Regierung in Klimafragen.

Foto: Ashley Rogers/Texas Tech University

Dass andere Menschen den Klimawandel als persönliches Anliegen begreifen, sagt Hayhoe, gehe eben nur, wenn sie Gespräche damit anfange, was sie mit der anderen Person gemeinsam habe. »Ich bin Mutter, ich bin Christin, ich liebe Wissenschaft, ich gehe gern in die Berge, ich pflege meinen Garten, ich häkle. Das sind die Themen, mit denen ich Gespräche anfange.« Auch Dinge wie das Rauchen oder der bedenkenlose Gebrauch von Plastikflaschen seien früher normal gewesen, inzwischen aber für die meisten nur noch bedingt akzeptabel. »All diese Veränderungen von sozialen Normen begannen mit einem Gespräch.« Und solche Gespräche könnte ausnahmslos jede oder jeder führen. »Viele von uns denken, sie hätten keinen Einfluss. Aber wir beeinflussen jeden Tag die Menschen, mit denen wir in Kontakt kommen. Unsere Gespräche beeinflussen, was wir für normal halten. Ist es normal, riesige Benzinschlucker zu fahren? Oder nicht? Der erste Dominostein ist ein Gespräch. Ein Gespräch kann all die anderen Dominos anstupsen.«

Schon früher haben Umweltaktivisten Mütter direkt angesprochen, meist um sie für Entscheidungen im eigenen Haushalt zu sensibilisieren, etwa weniger Auto zu fahren oder die Wäsche an der Luft trocknen zu lassen. Aber auch hier gehen die Science Moms einen anderen Weg: »Wir können über all die Dinge sprechen, die wir individuell für das Klima tun können, also: energiesparende Glühbirnen einschrauben, Solarpaneele installieren, weniger Fleisch essen, Essensverschwendung reduzieren und so weiter«, sagt Hayhoe. »Ich mache all diese Dinge, aber die Billiarden-Frage, denn soviel Geld kostet uns der Klimawandel, ist: Wenn jeder von uns, der sich das leisten kann, die zehn ökologischen Gebote des klimafreundlichen Lebens befolgt, wird das reichen? Die Antwort ist ein klares Nein. All die Energiesparlampen und Elektroautos reichen nicht.«

Als Wissenschaftlerin liefert sie den Beweis gleich mit: »Individuelle Lebensweisen machen weniger als 40 Prozent der Emissionen aus. Den Rest verursacht die Industrie, das Militär und so weiter. 70 Firmen, darunter ExxonMobil und BP, produzieren zwei Drittel der weltweiten Kohlendioxid-Emissionen.« Man solle sie nicht falsch verstehen, stellt Hayhoe klar: »Im Winter Erdbeeren um die Welt zu fliegen, ist bescheuert. Aber die wirkliche Lösung liegt in grundsätzlichen Änderungen.« Deshalb führt der »Aktions-Link« der Science Moms direkt dazu, die lokalen, regionalen und überregionalen Politiker zu Gesetzesänderungen zu drängen.

»Wir wollen Druck aufbauen«, bestätigt ihre Mitstreiterin Emily Fisher von der Universität von Colorade im Zoom-Interview. Die naheliegende Frage, warum die Science Moms die Väter nicht miteinbeziehen und die Rettung der Welt mal wieder ein Mütterproblem sein soll, beantwortet Emily Fisher mit einem entwaffnenden Lachen: »Weil ich nun mal eine Mutter bin und ich am besten mit anderen Müttern rede.«

Vor allem aber wollen die Science Moms, dass andere Mütter das Problem persönlich nehmen. Bei einem Kirchenfrühstück in Fairbanks, Alaska, wurde Katharine Hayhoe vor zwei Jahren von einer ängstlichen jungen Mutter angesprochen. »Was kann ich tun, um sicherzustellen, mein Kind wächst nicht in einer Welt auf, die gerade zerstört wird?« Die Frage sei so emotional gewesen, dass sie »nur als Mutter« darauf antworten konnte, sagt Hayhoe. Und sie antwortete darauf mit dem gleichen Rat, den sie sich selbst gibt, wenn sie an ihren Sohn denkt: »Verwandle deine Angst in Aktion. Sprich mit deinen Freunden und deiner Familie. Setz dich für Veränderungen in deiner Stadt, deiner Kirche, deiner Schule, deinem Staat ein.«

»Wir laden nicht einfach angstmachende Fakten ab, sondern wir sprechen darüber, was uns wichtig ist«

Hayhoe beruft sich auf die Londoner Neurowissenschaftlerin Tali Sharot: »Wenn man Menschen neue Informationen gibt, die ihren Überzeugungen widersprechen, was machen sie dann? Sie machen zu. Jeder kann auf YouTube ein Video finden, das die eigene Meinung bestätigt. Polarisierung nimmt zu, wenn Leute mehr Informationen erhalten.« Hayhoe geht deshalb einen anderen Weg: »Ich rede darüber, wie uns der Temperaturanstieg hier betrifft, wo wir leben.«

Die Fakten dazu hat Hayhoe natürlich parat: »Umweltkatastrophen kosten die USA schon jetzt 95 Milliarden Dollar im Jahr und haben letztes Jahr mehr als 200 Menschen getötet.« Statt den metaphorischen Eisbär auf seiner Eisscholle, sagt Hayhoe, »beeinträchtigt die Klimaerwärmung unser Leben schon heute. Was auch immer uns wichtig ist, wir können ein Gespräch mit einem anderen Kaffee-Connaisseur oder einer anderen Radfahrerin anfangen, und ich bin mir ziemlich sicher, dass der Klimawandel beim Kaffee oder Radfahren eine Rolle spielt«.

Hayhoe demonstriert im Webinar auch gleich, wie sie Kinder und Eltern gleichermaßen die Krise in einfachen Worten näherbringt: »Leben wir innerhalb unserer Grenzen?«, fragt Hayhoe rhetorisch. »In den USA verbrauchen wir so viele Ressourcen, dass wir fünf Planeten bräuchten. Wir verschwenden mehr als 50 Prozent der Energie, die wir produzieren und 40 Prozent des Essens. In Deutschland bräuchten sie drei Planeten. Kinder begreifen das sofort: Whoa, fünf Planeten!«

Hayhoes zweite Strategie: über Lösungen reden. »Lasst uns nicht vergessen, dass es beim Klimawandel eine Menge guter Nachrichten gibt: Der Anteil erneuerbarer Energien steigt massiv, wir haben hier in Texas gerade den ersten klimaneutralen Flughafen eröffnet, undsoweiter.« Ihr Motto: Inspire hope not dread. Erzeuge Hoffnung, nicht Angst. »Wir laden nicht einfach angstmachende Fakten ab, sondern wir sprechen darüber, was uns wichtig ist.«

Tatsächlich haben Mütter immer wieder entscheidende Veränderungen angeschoben. Der Kampagne »Mothers Against Drunk Driving« etwa gelang es in den USA, die legale Promillegrenze für Autofahrer zu senken. Führend was damals Cindi Lamb, die selbst bei einem Frontalzusammenstoß mit einem sturzbetrunkenen Fahrer schwer verletzt wurde. Ihre kleine Tochter Laura überlebte den Aufprall nur knapp und starb einige Jahre später an den Folgen. Der Lobbyist, der darauf beharrte, dass Trinken am Steuer nun mal eine persönliche Entscheidung sei, verstummte schnell, wenn sie ihre schwerstbehinderte Tochter im Rollstuhl in den Raum schob.

Inzwischen gibt es auch die Clean Air Moms, Müttergruppen gegen Waffengewalt und viele Dutzend weiterer Mütter-Organisationen. Aber der Klimawandel könnte das größte gemeinsame Ziel sein. 83 Prozent der Mütter machten sich Sorgen um den Klimawandel, zeigen Umfragen der gemeinnützigen Potential Energy Coalition, die die Kampagne der Science Moms finanziert. Wenn man sich überlegt, dass es mehr als zwei Milliarden Mütter auf der Welt gibt, ist die Strategie, mit der Macht der Mütter den Planeten zu retten, ziemlich vielversprechend.