In den letzten fünf Jahren habe ich regelmäßig innovative Lösungen für drängende Probleme vorgestellt, zu so unterschiedlichen Themen wie Klimawandel, Biodiversität und Jugendschutz. Diese Kolumne basierte nämlich auf einer simplen Idee: dass irgendwo auf der Welt vielleicht schon jemand ein Problem gelöst hat, das andere gerade umtreibt. Hier drei Beispiele für Kolumnen, die besonders engagierte Nachahmer fanden.
1. Hotline gegen häusliche Gewalt
Im März 2021 schrieb ich über eine polnische Initative gegen häusliche Gewalt. Es ging darum, dass Hotlines für Gewaltopfer seit Beginn der Pandemie in vielen Ländern steigende Zahlen meldeten. Aber wie können Frauen, denen häusliche Gewalt angetan wird, Hilfe holen, ohne dass ihre Misshandler es bemerken?
Eine 17-jährige polnische Schülerin hatte dazu eine geniale Idee: Sie richtete einen Kosmetik-Webshop mit dem harmlosen Namen Rumianki I bratki (auf Deutsch: Kamille und Stiefmütterchen) ein – hinter dem sich in Wahrheit aber etwas ganz anderes verbirgt. Unter dem Vorwand, nach Gesichtscreme zu suchen, können Gewaltopfer dort auf ihre Situation aufmerksam machen. Denn statt einer Kosmetikerin oder Verkäuferin meldet sich eine Juristin oder Psychologin, die in Zusammenarbeit mit dem gemeinnützigen »Women’s Rights Center« in Warschau Hilfe anbietet. Hunderte von Frauen wurden auf diesem Weg beraten und im Notfall direkt aus Gewaltsituationen geholt.
Die Kommunikationswirtin Cristiana Moschini Dubois aus Wiesbaden las damals die Kolumne und fand die Idee bestechend. Zusammen mit einer Gruppe von Frauen, die sich zum großen Teil ehrenamtlich gegen häusliche Gewalt engagieren, startete sie in Wiesbaden mit der Unterstützung vom kommunalen Frauenreferat das Pilotprojekt Vanille & Kamille, das seit Januar 2023 online ist. Auch hier verbergen sich unter dem Deckmantel eines Online-Kosmetikshops unauffällige Vermittlungsportale (Facebook, Instagram, Homepage) für Opfer häuslicher Gewalt. Wie das polnische Vorbild spricht die Webseite vor allem junge Frauen an, die häufig digitale Medien nutzen. Mit einem Klick, etwa über Facebook Messenger oder E-Mail, können die Betroffenen Kontakt aufnehmen und auf vertraulichem Weg Hilfe bekommen.
2. Beteiligung von Jugendlichen an politischen Entscheidungen
Bei Menschen unter 25 Jahren liegt die Wahlbeteiligung oft niedriger als in höheren Altersgruppen. Im Februar 2019 habe ich über eine Initiative in der US-Metropole Boston berichtet, das »Youth Lead the Change«-Programm. Als erste Stadt der Welt lässt Boston Jugendliche ab zwölf Jahren über die Verwendung von einer Million Dollar aus dem Stadtbudget entscheiden. Dabei kommen erstaunliche Projekte heraus – und junge Menschen gehen plötzlich häufiger zur Wahl.
Im November 2019, neun Monate nach meinem Artikel, fuhren die beiden Jugendlichen Martin Auer und Clara Kallich als Teil der Delegation von Bundespäsident Frank-Walter Steinmeier nach Boston. Zusammen mit Steinmeiers Frau Elke Büdenbender trafen sie dort die Initiatoren von »Youth Lead the Change«. »Wir waren direkt begeistert und arbeiten seitdem daran, ›Youth Lead the Change – Germany‹ in einer deutschen Stadt umzusetzen«, sagt Kallich. Im März 2020 stellten die beiden im Schloss Bellevue ihr Konzept vor, seitdem unterstützt Elke Büdenbender die Initiaitve als Schirmherrin. »Youth Lead The Change – Germany« ermutigt Jugendliche, Pläne zur Mitgestaltung ihres Wohnorts einzureichen und wurde unter anderem 2022 mit dem Jugend-Demokratiepreis der Bundeszentrale für Politische Bildung ausgezeichnet.
3. Kummerkasten für Kinder
Jede Woche werden in Deutschland etwa 300 Kinder missbraucht. Das ist die Zahl der registrierten Staftaten, aber die Dunkelziffer liegt vermutlich um ein Vielfaches höher. Im Januar diesen Jahres habe ich über eine Idee aus Frankreich geschrieben, wie von Missbrauch betroffene Kinder und Jugendliche schnell Hilfe erhalten können. Es war die Lösungskolumne, die mit Abstand am meisten Nachahmer auf den Plan rief.
Der französische Polizist Laurent Boyet hat in den letzten beiden Jahren mit seiner gemeinnützigen Organisation Les Papillons (»Die Schmetterlinge«) mehr als 200 weiße Briefkästen in Schulen und Vereinen installiert, damit sich Kinder und Jugendliche ihre Sorgen von der Seele schreiben können. Sein Team aus Psycholog*innen und Pädagog*innen wertet die Briefe aus und sucht dann mit lokalen Netzwerken nach konkreten Lösungen, vor allem, wenn Kinder akut über Gewalt, Missbrauch oder Mobbing schreiben. »Das Beste an der Methode ist, dass Kinder in eigenen Worten ungefiltert beschreiben, was sie bedrückt«, sagt Boyet. »Ohne dass es von Erwachsenen beeinflusst wird.« Über 60.000 Kinder hat Boyet, der selbst als Junge von einem Familienmitglied vergewaltigt worden war, damit bisher erreicht.
Ein Dutzend Leser fand die Idee so überzeugend, dass sie nun versuchen, ähnliche Kummerkästen in Deutschland zu installieren. Unter anderem will ein Arzt, der sich für geflüchtete Kinder engagiert, die Briefkästen in Münchner Schulen aufstellen, und der Kinderschutzbund Coburg plant, das Projekt im nächsten Schuljahr zu starten.
Eva Breuer, Elternvertreterin in Köln, nahm unmittelbar nach der Veröffentlichung mit Boyet Kontakt auf, um mit einem Briefkasten an ihrer Grundschule anzufangen. »Bestenfalls entwickeln wir eine Modellregion und setzen einen Prozess auf, den andere deutsche Einrichtungen übernehmen können«, sagt Breuer. »Warum nicht direkt in weiteren Schulen bzw. Betreuungseinrichtungen weitere Papillon-Briefkästen? Auch nur ein einziger Brief eines Kindes ist alle Mühen wert.«
Mit dieser Folge endet nach über fünf Jahren die Lösungskolumne von Michaela Haas. Wir danken ihr für ihren langjährigen Einsatz!