Das Leben ist zu kurz für schlechte Suppe

Diese alte Weisheit sollten Sie sich merken. Denn in Deutschland eröffnet gerade eine vietnamesische Suppenküche nach der anderen. Unser Autor hat sich auf die Suche nach den besten Rezepten gemacht.

Foto: Oliver Schwarzwald

Good morning, Vietnam. Mein erstes Frühstück mit Nudelsuppe: klein geschnittene Kräuter, Koriander, Thaibasilikum, wahrscheinlich auch ein paar leicht bittere Ngo-gai-Blätter, ferner: Chili, weiße Zwiebeln und Frühlingszwiebeln. Rinderfilet hauchdünn, zart, ganz ohne Fett, in der Hitze der Suppe gegart. Sojasprossen, Zitronenschnitze und natürlich Reisnudeln, keine Sojasauce. Die Brühe: kräftig, pikant, leichte Schärfe im Abgang. Gut so. Zum Nachwürzen: Chilisauce, ein Dip aus gestreckter Fischsauce und eine Paste aus braunen Bohnen, die kannte ich bisher noch nicht. Interessant. Das Ambiente: ein Hof in der Altstadt von Hoi An in Zentralvietnam, im Juli, 29 Grad um sieben Uhr morgens. Meine erste Station auf meinem langen Weg zur guten Suppe. Sieben Tische unter freiem Himmel, voll besetzt. Vor dem Tor parken Mopeds. Nur ein Gericht, der Preis für eine Suppe: etwa 75 Cent, aus einem großen Topf. Stammgäste kommen, schlürfen und machen sich gruß- und wortlos auf ihren Weg zur Arbeit. Alles Suppenliebhaber, kein einziger Tourist außer mir. Mich hat Linh hergeführt, auf dem Rücksitz seines Mopeds. Linh ist Kellner im besten Hotel des Ortes, spargeldürr, obwohl er jeden Tag Nudelsuppe frühstückt. Er hat am Abend zuvor im chic designten Hotelrestaurant versprochen, mir morgens die besten zwei, drei Garküchen in den Straßen zu zeigen.

In Berlin und München tragen vietnamesische Suppenlokale bemüht originelle Namen: »Monsoon« oder »Charly«. Dort, wo das Nationalgericht herkommt, heißen die Lokale: »Pho bo« oder »Pho ga«, ganz einfach nach der Suppe, die sie anbieten: Nudelsuppe mit Rind oder Huhn; allenfalls heißen sie noch »Pho Hanoi«, nach der Hauptstadt im Norden, woher die Pho ursprünglich stammt. Die Lieblingssuppenküche von Linh hier in Hoi An hat nicht mal einen Namen. Braucht sie nicht. Die Gäste sind zufrieden.

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»Das Leben ist zu kurz, um schlechte Suppe zu essen« – alte vietnamesische Weisheit. Ich liebe vietnamesische Suppen. Schmecken gut, sind gesund, leicht, selbst bei großer Hitze. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich den Spruch in letzter Zeit auf Speisekarten ge-lesen habe. Vietnamesische Suppenküchen schießen in Deutschland wie Pilze aus dem Boden. Wie findet man die beste Suppe, und wo findet man sie? Ich wollte es wissen. Vier Tage in Vietnam gab ich mir Zeit, um das herauszufinden. Vier Suppen täglich.

Erste Station: eben Hoi An, eines der beliebtesten Touristenziele. Die Stadt ist schön. Am China Beach haben sich amerikanische GIs vor 45 Jahren am Wochenende vom Bombenkrieg beim Surfen erholt. Heute ist Hoi An ein Backpacker-Paradies, junge Leute schlendern durch die denkmalgeschützte Altstadt über fünfhundert Jahre alte Holzbrücken. Und die örtliche Nudelsuppe ist für ihren ausgeglichenen Geschmack bekannt – nicht zu scharf, nicht zu sauer. In den Worten von Linh, dem Kellner: Yin und Yang sind gleich stark.

Vietnam ist immer noch geteilt, 35 Jahre nach Ende des Krieges: in einen tropischen Süden und einen subtropischen Norden. Die Menschen im Süden essen schärfer, süßer, mehr Kokosnuss, Ananas, Zitronengras und andere Früchte aus dem Mekongdelta. Ihre Suppe wird mit mehr Fleisch und Nudeln serviert und mit Zitronengras, Sojasprossen, Thaibasilikum, Limettenschnitzen, frischen Chilis, mitunter sogar Sojasauce. In Ho-Chi-Minh-Stadt, dem ehemaligen Saigon, gilt die Fischsauce Nuoc Mam von der Insel Phu Quoc als die beste.

Foto: Alan Benson

Köche aus dem nördlichen Hanoi halten die für zu süß und ziehen eine Fischsauce von der Insel Catai vor, die bis zu 15 Jahre im Fass lagert, wie ein guter Whisky. Auch Soja ist in Nordvietnam verpönt. Die Menschen im Norden kennen vier Jahreszeiten und deswegen auch mehr Gemüsesorten und Kräuter.

Zwischen den kulinarischen Fronten des 1800 Kilometer langen Küstenlandes: Zentralvietnam und seine Suppenversion, auffälligste Besonderheit ist ein Dip aus schwarzen Bohnen.

Mittagessen im Hotel »Nam Hai«, mit drei großen Pools direkt am China Beach, der sicher hundert Meter breit ist. Linh, der Kellner, serviert eine Suppe aus dem Hotelrestaurant: je ein Bund Koriander und süße Minze auf einem Extrateller, Fischsauce zum Nachwürzen. Die Brühe schmeckt wirklich nicht so säuerlich wie im Norden, nicht so scharf wie im Süden – Yin und Yang eben, die Harmonie der Gegensätze schmeckt lecker!
Fünf Stunden hat die Brühe geköchelt. Das Hotel bietet wie viele andere einen Kochkurs an, einen Vormittag dauert der. Den mache ich am zweiten Tag. Wir gehen auf dem Markt einkaufen.

Die Kochkurse sind gut gebucht. Besonders Deutsche sind hungrig auf vietnamesische Suppe. Vielleicht weil jeder sie sich eben ganz nach seinem Geschmack und mit seinen jeweiligen Lieblingszutaten zusammenstellen kann, sie liegt im Trend zum Individualismus. Und sie ist nicht so scharf wie die Tom Ka Gai. Auch Suppen sind einer Mode unterworfen: Was die italienische Minestrone in den Achtzigerjahren war und in den Neunzigern japanischer Soba und thailändische Tom Ka Gai, das ist heute jedenfalls die Pho, ausgesprochen übrigens Phö.
Abends in der Altstadt: Restaurant »River Lounge«, romantisch mit Blick auf die Japanische Brücke. Der österreichische Besitzer zeigt sich weniger romantisch: Viele Suppenküchen in der Straße kochen seiner Meinung nach mit Glutamat. Das Kochen der Brühe mit Knochen dauert vielen zu lange. Rindfleisch gab es bis 1995 auch kaum, bis zum Ende des Embargos durch die Amerikaner.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wo unser Autor schließlich die beste Nudelsuppe Vietnams fand, und welche Rezepte zum Selberkochen er empfiehlt.

Foto: Lars Reichardt

Diesen Abend mache ich Suppenpause, aber denke dennoch an sie: sieben Suppen an zwei Tagen. Bei einer von der Straße bin ich mir nun nicht mehr sicher, ob nicht Glutamat drin war. Sie hat gebrannt auf der Zungenspitze. Schlecht war auch sie nicht. Ich esse zur Abwechslung Frühlingsrollen und Thunfisch im Sesammantel.

Eineinhalb Tage und fünf glutamatfreie Suppen auf der Straße später, Frühstück in Hanoi, im Norden, meiner zweiten Suppen-Station, »Mövenpick«-Hotel, am Rande des französischen Viertels: In der Suppe schwimmen groß geschnittene Stücke weißer Zwiebel, das ist nur ungewöhnlich, aber was haben die Weißbrotstückchen darin zu suchen? Andererseits ist das ja der Vorteil der vietnamesischen Nudelsuppe: Erlaubt ist so ziemlich alles, was schmeckt. Weißbrot in der Suppe schmeckt mir nicht.

Auf dem Weg in die Altstadt mache ich, was alle Touristen in Hanoi machen: Lackteller kaufen, zur Fußmassage gehen, Rikscha fahren, Ho Chi Minh im Mausoleum besuchen. Dann endlich das lang ersehnte Abendessen bei Didier Corlou, von dem ich in der einschlägigen Suppenliteratur schon gelesen hatte: Franzose, Ende fünfzig. Anfang der Neunzigerjahre, noch vor Ende des US-Embargos 1995, kam er aus der Bretagne nach Hanoi, um im legendären »Sofitel« große französische Küche zu zelebrieren. Er verliebte sich in eine Vietnamesin. Er ließ sich von deren Großmutter in die traditionelle Küche einweisen, eröffnete zwei eigene Lokale, dem einen gab er den Namen der Großmutter,
Madame Hien, ein Name, der sich bis nach Europa herumsprach. Heute gilt Corlou als Chefkoch vietnamesischer Küche, als deren Lordsiegelbewahrer.

Dieser Corlou also steht in Hanoi mit verschränkten Armen in seinem Restaurant aus der französischen Kolonialzeit und sagt, er habe immer gewusst, dass sich die vietnamesische Küche eines Tages emanzipieren werde, von der Unterdrückung durch chinesische, thailändische, französische Einflüsse, ihr Siegeszug sei unaufhaltsam. Natürlich nennt Corlou auch den Grund: Ihr Geheimnis seien die Kräuter, die um Hanoi in den Bergen wachsen und sogar eine einfache vietnamesische Nudelsuppe unschlagbar machten. Emanzipiert hat sich die vietnamesische Küche wirklich, sie strotzt geradezu vor Selbstbewusstsein: Corlou kocht die Nudelsuppe sogar mit Lobster oder Entenfleisch. Seine Pho mit Rindfleisch: mehr Kräuter als gewöhnlich, sehr gut, das Ganze für nicht mal zwei Euro. Je einen Sonderpunkt für das Ambiente im Kolonialstil und die hübschesten Bedienungen.

Von 15 Suppen an vier Tagen fand ich nur eine richtig schlecht: die am Flughafen in Zentralvietnam. Meinen Testsieger finde ich am letzten Tag in der Nähe von Hanois Altstadt: »Mai Anh« in der Le-Van-Huu-Straße, in der sich sicher zehn Suppenlokale nebeneinander befinden. Mai Anhs Lokal ist das vollste, drei junge Bedienungen helfen ihr, sie steht am Suppentopf und schenkt einen Teller nach dem anderen ein. Es gibt nur Nudelsuppe mit Huhn, für 1,50 Euro. Der europäische Geländewagen vor der Tür gehört offenbar Mai Anhs Mann.

Die kleine Köchin Anh schwört auf Markklößchen aus gehacktem Schweinefleisch als Zutat. Neben Fischsauce werden in Essig
eingelegter Knoblauch und Chili zum Abschmecken gereicht. Großartig.
Auf besonderen Wunsch bekommt der Gast auch Glutamat.

Essen: »Madame Hien«, 15 Chan Cam, Hanoi, Tel. 0084 / 439 38 15 88, madame.hien@didiercorlou.com »Mai Anh«, 32 Le Van Huu, Hanoi, Tel. /39 43 84 92; »River Lounge«, 35 Nguyen Phuc Chu, Hoi An,
Tel. /510 91 17 00, www.lounge-collection.com

Übernachten: »Nam Hai«, Hoi An, Villa für 600 Euro, Kochkurs
30 Euro, Nudelsuppe 12 Euro. www.thenamhai.com

»Mövenpick«-Hotel Hanoi, 83A Ly Thuong Kiet, Hoan Kiem district, Hanoi, DZ ab 146 Euro, Tel. /438 22 28 00, www.moevenpick-hotels.com

Anreise: Mit Vietnam Airlines ab Frankfurt über Hanoi oder Ho Chi Minh ab 700 Euro, inklusive Instant-Suppe an Bord. www.vietnamairlines.com Individuelle Touren, auch mit Kochkursen, über www.asia-select.de

Unbedingt: Das Kochbuch Vietnam von Susanna Bingemer und
Hans Gerlach bei Gräfe und Unzer.

Die besten Rezepte finden Sie hier: http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/34348