Würfelzucker im Café, das bedeutete Segelschiffbilder auf den Päckchen zu sammeln. Das bedeutete, die noch fehlenden Sternzeichen zu ergattern oder endlich das Zucker-Domino zu erweitern. Mauern, Türme, ganze Pyramiden entstanden zwischen Kaffeetasse und Käsekuchen. Man beobachtete, wie sich ein Würfel auf einem Löffel langsam mit Flüssigkeit vollsog oder sah zu, wie er im festen Milchschaum steckte, bevor die Tasse ihn vollends verschluckte. Und Kinder freuten sich, wenn sie das kleine süße Geschenkpäckchen neben der elterlichen Kaffeetasse auspacken durften, um sich dann einen Würfel genüsslich im Mund zergehen zu lassen.
Dabei hielt er streng genommen nur selten, was sein Name versprach: Denn ein Würfel im geometrischen Sinn, also mit allseits gleichlangen Seiten, war er fast nie. Der deutsche Durchschnittswürfel ist eigentlich ein Quader mit 16 mal 16 mal elf Millimetern Kantenlänge und wiegt um die vier Gramm. Zwar gab es Würfelzucker an sich schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts - als abgepackte Zweierportion kommt er in Deutschland aber erst seit 1923 vor. Karl Hellmann, Lebensmittelgroßhändler und Ahnherr der in Nürnberg ansässigen Hellma GmbH für Portionszucker, begann damals, die Zweierpäckchen zu produzieren. Mit individuellen Werbebanderolen verschaffte er den Portionen schließlich den Durchbruch und sie waren aus den Cafés nicht mehr wegzudenken.
Doch fragt man heute die Zuckerindustrie, dann scheint es fast, als habe es sich in Cafés ausgewürfelt. Der Absatz der Zweierpäckchen sinke seit Jahren, so die großen deutschen Zuckerhersteller - allein in den letzten fünf Jahren um die Hälfte. Da wundert es nicht, dass Hellma nun der letzte deutsche Hersteller für Würfelzucker-Portionen ist. Im selben Maße sei aber der Absatz von sogenannten Sachets und Sticks, also Rieselzuckertütchen gewachsen. Der Grund: »Verändertes Verbraucherverhalten«, so die knappe Antwort aus der Industrie. Geht kühle Funktionalität also vor Ästhetik mit Ecken und Kanten? Duldet der Kunde keine in Form gepresste Normsüße mehr?
Hellma-Geschäftsführer Marco Geith meint, die Abkehr vom Filterkaffee spiele eine wichtige Rolle: Der Wandel zu Cappuccino und Co. habe dazu beigetragen, dass die Doppelpäckchen nur noch einen geringen Marktanteil von 15 Prozent haben. Streuzucker löst sich schneller auf. Längliche Sticks wirken irgendwie modern und vor allem: Tütchen bieten die größere Werbefläche. Still und leise verschwanden so die Würfel aus dem Café-Alltag - hin zu ebay, Sammlerbörsen und Liebhabern.
Tatsache ist aber auch: Das Leben in Cafés ist heute anders, schneller, härter. Ein rascher Kaffee zwischendurch, ein Becher to go, die tristen Tütchen liegen leblos daneben bis das Personal sie endgültig entsorgt. Man beobachtet nur halb geleerte Zuckersticks, Kaffeetrinker, die nur homöopathisch zuckern. Und warum? Zwecks der Figur, der Gesundheit, weil man es eben so macht.
Dabei war das Treffen im Café zu Zeiten des portionierten Würfelzuckers selbst eine Art gesellschaftliches Abkommen. Man verabredete sich, um in Ruhe mit Freunden Zeit zu verbringen. Und man nahm sich die Zeit, vielleicht auch für sich allein. Genau das verkörpert die Würfelzucker-Portion: weniger Lifestyle, weniger Hektik, dafür aber mehr Zeit für sich und andere. Und mit seiner immer gleichen, gar nicht groß beeinflußbaren Zuckerdosis sorgte das Würfelchen vielleicht auch für ein Stück Konstanz und Verlässlichkeit - etwas, dessen man sich sicher sein konnte, auf das man keinen Gedanken verschwenden musste.
Immerhin, ein Lichtblick zeigt sich: Die Fan-Gemeinde von Filterkaffee ist in Cafés noch klein, aber sie wächst wieder. Und glaubt man dem Hellma-Mann Geith, damit auch die Zahl derer, die die Vorteile der Würfel zu schätzen wissen. Deshalb sind seine Mitarbeiter auch fleißig dabei, neue Portionen mit knapp halb so großen Würfeln auf den Markt zu bringen. Der Clou: Geometrisch treffender heißen sie nun CUBUS.
Fotos: dpa