Kommando Kimchi

Wenn Staaten ihren Ruf bessern wollen, holen sie sich die Liebe inzwischen oft durch den Magen: Sie propagieren weltweit ihre Landesspezialitäten und helfen einheimischen Köchen im Ausland. Wie gut das funktioniert, zeigt das Beispiel Südkorea.

Wenn man nachvollziehen will, wie koreanisches Sauerkraut die Welt erobert hat, fängt man am besten mit dem 15. August 2008 an. Tausende Menschen hatten sich an diesem Tag vor dem Gyeongbokgung-Palast in Seoul versammelt, dem Palast der strahlenden Glückseligkeit. Hier war am 15. August 1948 die Republik Korea ausgerufen worden, und hier stand nun Lee Myung-bak, der damalige Präsident Südkoreas, und sprach zu seinem Volk.

Die vergangenen sechzig Jahre, sagte er, seien eine Geschichte des südkoreanischen Erfolgs gewesen, des Fortschritts, der Wunder. Ein Land, auferstanden aus den Ruinen des Koreakrieges, das sich hochgearbeitet habe zu einer der größten Wirtschaftsmächte der Welt. Ein Land, das einen UN-Generalsekretär hervorgebracht habe. Ein Land, das Gastgeber der Olympischen Spiele gewesen sei und Halbfinalist der Fußball-WM 2002. Kurz: Ein Land, das auf sich stolz sein könnte – wäre da nicht ein Problem: »Der Wert der Marke Korea macht nur etwa dreißig Prozent unserer Wirtschaftsmacht aus«, sagte Lee Myung-bak. Was er meinte, war: Südkorea hatte ein Imageproblem. Weil die Welt oft südkoreanische Produkte für japanische oder chinesische hielt. Und weil die Welt immer wieder Südkorea mit dem kommunistischen Nachbarn im Norden verwechselte. Das war nicht nur schlecht für den Ruf, sondern auch für die Geschäfte, wer kauft schon gern bei einem Diktator? Und so versprach der Präsident nicht nur künftige Investitionen in grüne Technik und Armutsbekämpfung, sondern auch, das Image Südkoreas in der Welt zu verbessern.

Am 22. Januar 2009 wurde per Dekret das Komitee für die Marke Südkorea gegründet. Das Ziel: Südkorea auf Platz 15 des Anholt-GfK Nation Brands Index zu bringen, einer Rangliste der fünfzig beliebtesten Ländermarken, ermittelt durch Interviews in der ganzen Welt. Die USA, Deutschland und England stehen beim Anholt-GfK Nation Brands Index regelmäßig an der Spitze. Frankreich, Italien und Japan schaffen es immerhin noch in die Top Ten. Südkorea stand 2008 auf Platz 33.

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In den folgenden Jahren wurde das Land zu einem engagierten Akteur in der Entwicklungshilfe. Ein Freiwilligendienst für Jugendliche wurde gegründet, »World Friends Korea«. Und das Komitee für die Marke Südkorea beschloss, mit der Kultur des Landes zu werben: mit der koreanischen Sprache, mit Sportarten wie Taekwondo – und vor allem mit koreanischem Essen. So entstand 2009 das Programm »Korean Cuisine to the World«. Das Ziel: Viermal so viele koreanische Restaurants im Ausland bis 2017, ein Platz unter den Top fünf der meistvertretenen Länderküchen weltweit – und ein besseres Image der koreanischen Küche.

»Es geht darum, die Herzen und Köpfe der Menschen durch ihre Mägen zu gewinnen«, sagt Paul Rockower. Er ist ein Experte für Kulturdiplomatie und hat den Begriff »Gastrodiplomacy« mitgeprägt, »gastronomische Diplomatie«. Es ist ein aufstrebendes Forschungsfeld. US-Universitäten bieten längst Kurse zu Gastrodiplomacy an, und neben Südkorea hat eine Reihe anderer Länder bereits kulinarische Imagekampagnen aufgelegt. Etwa jene, deren Landesküchen in den vergangenen Jahren besonders populär geworden sind: Peru, Schweden, Dänemark.

Die Idee, Essen und Politik zu verbinden, ist nicht neu. Im alten Rom trafen sich Senatoren zu Gelagen, zwei Jahrtausende später grillte Angela Merkel mit George W. Bush in Vorpommern eine Sau. Auch mit ihrer Kultur machen Nationen seit Langem schon Werbung – das British Council, das Goethe-Institut, das Instituto Cervantes. Bereits in den Fünfzigerjahren wurden Jazzmusiker wie Dizzy Gillespie in die Welt gesandt, um für die USA zu werben, heute führt die USA ein Programm namens »Hip-Hop Diplomacy«.

Dass die Kulturdiplomatie nun auch Tisch und Teller als Mittler für sich entdeckt, liegt an der größeren Bedeutsamkeit des Essens. An den Kiosken stapeln sich Food-Magazine, Köche werden zu Stars, und was man isst und nicht isst, sehen viele als identitätsstiftend. »Im 20. Jahrhundert waren Musiker die Kulturbotschafter ihrer Länder«, sagt Paul Rockower, »im 21. Jahrhundert sind es Köche.«

Das erste Land, das versuchte, seinen Ruf über seine Landesküche aufzupolieren, war Thailand. »Kurz nach der Jahrtausendwende hat die Regierung in Bangkok gemerkt, dass Thai-Essen international immer beliebter wird«, sagt Rockower. »Irgendjemand kam dann auf die Idee, das zu nutzen.« 2002 startete das »Global Thai Program« mit dem Ziel, die Zahl der Thai-Restaurants im Ausland zu steigern. Der Import von Thai-Lebensmitteln im Ausland wurde vereinfacht. Kochkurse wurden gefördert. Die Regierung vergab Kleinkredite an Köche, die ein Thai-Restaurant aufmachen wollten, und handelte mit Neuseeland spezielle Visa für Thai-Köche aus, damit Restaurantbesitzer in Auckland oder Wellington leichter gut qualifiziertes Personal finden.

Das »Global Thai Program« war ein Erfolg. Zum Start der Kampagne gab es außerhalb Thailands weltweit 5500 Restaurants, 2009 waren es 13 000. Das verschaffte der thailändischen Nahrungsmittelindustrie immense Absatzmärkte, von 2002 bis 2009 verdoppelten sich die Exporte. Zugleich wurde Thailand zum Ziel für Essensbegeisterte, es kamen mehr Touristen – auch solche, die sich nicht weiter für thailändisches Essen interessieren, sondern für Strände, Kultur, Shopping.

Bald zogen andere Länder mit Gastronomiekampagnen nach. 2005 legte der Nordische Rat auf Initiative einiger prominenter skandinavischer Köche das »New Nordic Food«-Programm auf, um Nahrungsmittel aus der Region und eine auf Natürlichkeit fokussierte nordische Kochkultur zu fördern. Ein Jahr später folgte Peru mit dem Motto »Perú, mucho gusto«: »Peru, viel Geschmack« oder auch »Peru, freut mich, Sie kennenzulernen«.

Vor allem in Asien löste das Beispiel Thailand eine Welle aus. »In der Region gibt es viele Länder, die weder eine große Armee haben noch Einfluss auf der weltpolitischen Bühne«, sagt Alessandra Roversi, eine Gastrodiplomacy-Expertin aus der Schweiz. »Essen war für diese Mittelmächte ein Weg, um international wahrgenommen zu werden.«

Und so schickte Malaysia Köche in renommierte Kochschulen und Food-Trucks mit malaiischem Essen durch die Häuserschluchten Manhattans. Taiwan rief einen Thinktank für Essen ins Leben und ließ Rindernudelsuppe an mehr als tausend Mitarbeiter von Google in Mountain View ausschenken. Zeitungen sprachen von »Dim-Sum-Diplomatie«, Indonesiens Programm bekam den Namen »Gado-Gado-Diplomatie«, und im Fall von Japan hieß es »Sushi-Diplomatie«.

Kein Land aber war so radikal bei der Bewerbung seines Essen wie Südkorea. Paul Rockower schätzt, dass die südkoreanische Regierung 44 Millionen Dollar in ihr Programm »Korean Cuisine to the World« gesteckt hat. Auch sie vergab Stipendien für Köche und organisierte in renommierten Kochschulen Kurse in »Hansik«, dem Sammelbegriff für die koreanische Küche.

Sie besteht vor allem aus Reis, Gemüse und Fleisch. Anders als in der thailändischen oder chinesischen Küche kommen aber Suppen und vor allem Kimchi hinzu, ein scharfes Sauerkraut. Kimchi ist der Fixstern der koreanischen Küche, es wird zu fast jeder Mahlzeit gereicht. Gut zwanzig Kilo isst jeder Südkoreaner davon jährlich im Schnitt. Das Sauerkraut ist so wichtig, dass es einen Kimchi-Index gibt, der zeigt, wann die Zutaten besonders billig sind. Das ist wichtig, weil Kimchi vor allem in Handarbeit entsteht: Rezepte werden über Generationen hinweg weitergegeben, meistens von Mutter zu Tochter. Im Herbst trifft man sich zum Kimjang, dem gemeinsamen Herstellen von Kimchi: Gemüse, vor allem Chinakohl, wird in Salzwasser eingelegt und danach mit Ingwer, Knoblauch, Meeresfrüchten und viel Chili eingeschmiert, um dann über Wochen in speziellen Tontöpfen zu fermentieren. Das Ergebnis riecht genau so: nach Fisch, viel Knoblauch und Zersetzung. Je nach Rezept schmeckt das Kimchi scharf oder mild, auf jeden Fall aber säuerlich – und für den westlichen Geschmack gewöhnungsbedürftig.

Während auf der einen Seite also koreanische Küche ohne Kimchi undenkbar war, brachte das Sauerkraut auf der anderen Seite die Gefahr mit sich, den Siegeszug von Hansik zu stoppen, bevor er überhaupt losgegangen wäre. 2010 wurde daher das »World Institute of Kimchi« gegründet, kurz WiKim. In einem schicken Neubau aus Stahl und Beton am Rande der Industriestadt Gwangju, mit Kimchi-Museum, Archiv, einer Pilotanlage und mehreren Laboren, arbeiten nun Nahrungsmittelchemiker daran, Kimchi an europäische und amerikanische Gaumen anzupassen.

Um die Menschen in New York oder Paris dazu zu bringen, das koreanische Sauerkraut überhaupt zu probieren, schickte Südkorea 2011 drei Studenten mit einem »Kimchi-Bus« auf eine 52 000 Kilometer lange Reise durch die Welt. Ein paar Jahre später folgten die »Bibimbap Backpackers«, die mit Rucksack und Klappherd das koreanische Reisgericht Bibimbap berühmt machen sollten.

All das mag absurd und banal klingen. Es wäre aber nicht das erste Mal, dass Südkorea mit PR-Kampagnen seine Kulturgüter zu Exportschlagern macht. Mit »K-Pop« hat es das Land innerhalb weniger Jahre zu einem der größten Musikproduzenten der Welt gebracht. Südkoreanische Musik hört man in ganz Asien, die Musiker haben den Status von Halbgöttern. Diese Standleitung in die Zimmer und Köpfe von Millionen Teenagern nutzte Südkorea nun, um auch sein Essen bekannter zu machen. Auf einmal sang der südkoreanische Superstar Jay Park darüber, wie gut K-Food seinem Körper tue, die Mädchenband »Wonder Girls« lobte in ihrem Lied K Food Party die hautreinigende Kraft von Kimchi. Zudem tauchte das südkoreanische Essen immer öfter in den heimischen Fernsehserien auf. Die südkoreanische Regierung schaffte es sogar, im US-Fernsehen eine Doku-Reihe zu platzieren: Kimchi Chronicles, die Geschichte der Selbstfindung einer jungen US-Koreanerin, mit Gastauftritten von Hugh Jackman.

Jedes Restaurant im Ausland sei so etwas wie eine inoffizielle Botschaft des eigenen Landes, sagt der US-Koch und Gastrodiplomacy-Experte Sam Chapple-Sokol. 40 000 Restaurants soll es nach dem Plan der südkoreanischen Regierung bis 2017 im Ausland geben. Aktuelle Zahlen, sagt die süd-koreanische Botschaft in Deutschland, gebe es aber nicht. Auch die Frage, ob es Süd-korea unter die Top fünf der Landesküchen weltweit schafft, ist schwer zu beantworten – es existiert keine offizielle Liste darüber. Das Ziel, auf Platz 15 des Anholt-GfK Nation Brands Index zu kommen, wurde allerdings verfehlt. 2011 stand Südkorea auf Platz 27, heute auf Platz 29.

Andererseits: Schon 2009, kurz nach dem Start des »Korean Cuisine to the World«-Programms, schrieb das Wall Street Journal, die südkoreanische Küche sei groß im Kommen, vor südkoreanischen Restaurants würden sich Schlangen bilden, und renommierte westliche Lokale hätten auf einmal Kimchi im Angebot. Heute steht Kimchi regelmäßig in den Trends verschiedener großer Food-Blogs. Längst hat die US-Restaurantkette »T.G.I. Friday’s« koreanische Tacos im Angebot, auch in Deutschland gibt es Trend-Koreaner wie das 2009 in Kreuzberg gegründete Restaurant »Kimchi Princess«. Und: Seit dem Start des »Korean Cuisine to the World«-Programms kommen stetig mehr Touristen nach Südkorea. 2016 war mit 17 Millionen Besuchern ein Rekordjahr, vier Millionen mehr als im Jahr zuvor.

Der schnelle Erfolg erzeugt allerdings auch Probleme. Thailand hat seit dem Start seines Programms die Zahl der Thai-Restaurants im Ausland verdreifacht. Quantität heißt aber nicht Qualität: Als sie Premierministerin von Thailand war, stieß Yingluck Shinawatra so oft auf schlechtes thailändisches Essen im Ausland, dass sie ihr Kabinett einberief. So entstand das »Thai Delicious Committee«, das die Entwicklung eines Roboters in Auftrag gab: Der »e-Delicious« kann Essproben auf ihre chemische Zusammensetzung testen und erkennen, ob Thai-Essen den vom Komitee gesetzten Standards entspricht.

Auch Südkorea hat mit einem ungewollten Nebeneffekt seiner Kimchi-Propaganda zu kämpfen. Obwohl das Nachbarland Nordkorea abgeriegelt ist, betreibt eine nordkoreanische Regierungsfirma eine Restaurantkette im Ausland: »Pyongyang« ist laut Selbstauskunft mit hundert Restaurants in mehr als 25 Ländern präsent, auch in Russland und Dubai. Junge Koreanerinnen singen und tanzen dort, dazu gibt es nordkoreanische Spezialitäten – gegen Dollar, denn die Restaurants dienen dem Regime zur Devisenbeschaffung. Der koreanische Essensboom, den Südkorea ja auch initiiert hatte, um sich von Nordkorea klarer zu unterscheiden, dient nun auch dem ungeliebten Nachbarn.

Die Gäste der nordkoreanischen Restaurants sind begeistert. Auf Bewertungsportalen im Internet schwärmen sie vom besten koreanischen Essen, das sie je hatten.

Illustrationen: Daniel Frost