Kopfüber in die Vergangenheit

Lehrer sagen gerne, man müsse Geschichte "erleben". Wir sagen: Man muss sie essen. Sechs historische Menüs zum Nachkochen.

1912
Atlantik: Auf der Titanic wird die letzte Leberpastete serviert.

Die Kapelle spielte, die Smokings saßen perfekt, ein letztes Mal wurde so getan, als sei alles in Ordnung. Auch wenn die Tische langsam zu rutschen begannen. Als in der Nacht vom 14. auf den 15. April 1912 das berühmte Passagierschiff »Titanic« im Nordmeer versank, stand auf der Speisekarte unter anderem Trüffel-Leberpastete mit Waldorfsalat. So wird er gemacht: Eine halbe Sellerieknolle schälen und mit zwei aromatischen Äpfeln zuerst in hauchdünne Scheiben dann in feine Streifen schneiden. Die Scheiben werden am schönsten, wenn Sie sie mit einer Aufschnittmaschine schneiden – mit einem scharfen Messer geht es aber auch. Mit 2 EL Zitronensaft beträufeln. 2–3 EL Walnusskerne hacken. 3 EL Mayonnaise mit 2 EL Joghurt verrühren, mit Äpfeln, Sellerie und Nüssen mischen und mit Salz, Cayennepfeffer und einer Prise Zucker abschmecken. Den Salat mit leicht bitteren Salatsorten wie Chicorée, Frisée oder Radicchio anrichten. Und mit je einer Scheibe Trüffel-Leberpastete aus dem Feinkostgeschäft Ihres Vertrauens servieren.

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Meistgelesen diese Woche:

1945
Jalta: Churchill, Stalin und Roosevelt frühstücken Spiegelei mit Kaviar

Das Treffen auf der Krim regelte die Teilung Europas für Jahrzehnte – das Gericht, mit dem die Weltkriegssieger ihre Besprechungstage begannen, ist jedoch etwas in Vergessenheit geraten:
Für jeden Konferenzteilnehmer 1 TL Butter in der Pfanne aufschäumen. Je ein ganz frisches Ei in die Pfanne schlagen und ca. 3 Minuten braten. Die Spiegeleier auf einen Teller heben, das Eiweiß salzen, mit Pfeffer bestreuen und mit reichlich eisgekühltem Kaviar und gebuttertem Toast servieren. Damals gab es Belugakaviar zum Spiegelei. Heute sind Störe so stark bedroht, dass Sie Zuchtkaviar von Stör, Saibling, Forelle oder Lachs den Vorzug geben sollten.

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1793
Paris: Marie Antoinette trinkt eine allerletzte Tasse Schokolade.

Am 16. Oktober, die Französische Revolution war auf ihrem Höhepunkt, wurde die Gemahlin des französischen Königs Ludwig XVI. auf der heutigen Place de la Concorde geköpft. Anstelle einer Henkersmahlzeit ließ sie sich eine Tasse Schokolade bringen – im 17. Jahrhundert das absolute Modegetränk an europäischen Fürstenhöfen (oder wie man es bei der Zeitschrift »Stern« formuliert: »Eine heiße Schokolade ist so etwas wie ein Spa zum Schlucken – das wusste schon Marie Antoinette.«)

Historisch korrekt bereitet man sie übrigens ohne Milch und Sahne zu, vor allem aber: nicht mit schnödem Kakaopulver, sondern mit echten Bohnen! Für einen Becher 2 EL geröstete und geschälte Kakaobohnen in einem Mörser zu einer feinen Paste zerreiben. 100 ml Wasser aufkochen, die Kakaopaste unterrühren und mit 2–3 EL Rohrzucker etwa 30 Sekunden schwach köcheln lassen, mit je einer Prise Zimt, Nelken-pulver und schwarzem Pfeffer abschmecken. Durch ein feines Sieb in einen Becher gießen und unverzüglich mit einem Glas kaltem
Wasser servieren.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: 2000 - Clinton, Arafat und Barak essen Lachsfilet mit ThaiCurrysauce.)

2000
Camp David: Clinton, Arafat und Barak essen Lachsfilet mit ThaiCurrysauce.
Bill Clinton begrüßte auf dem Präsidentenlandsitz den PLO-Chef und
Israels Ministerpräsident zu Gesprächen über den Nahostkonflikt. Die Ergebnisse waren mäßig, das Essen dafür umso besser:
4 Lachsfiletstücke (je ca. 180 g, mit Haut, aber ohne Schuppen und Gräten) bei mittlerer Hitze auf der Hautseite ca. 10 Minuten braten. Wenden und 5 Minuten fertig garen. Sauce: Die äußeren Blätter von 3 Stängeln Zitronengras entfernen, die Stängel mit einem Messerrücken quetschen. 2 Knoblauchzehen schälen und mit 1–2 Thai-Chilischoten hacken. 100 g Thaischalotten schälen und in Scheiben schneiden. 1 Bund Frühlingszwiebeln putzen und in 1 cm lange Stücke schneiden. Die feste Schicht Sahne aus einer Dose Kokosmilch abheben und mit den Gewürzen in einem Topf 2 Minuten dünsten. Restliche Kokosmilch und 4 Kaffir-Limettenblätter zugeben und 15 Minuten cremig einkochen. Mit Fischsauce abschmecken, Zitronengras entfernen. Die Sauce mit Lachsfilets und grob gezupftem Thaibasilikum anrichten. Dazu gab es gebratene Babykartoffeln, grüne Bohnen mit Mandeln, Salat und Früchte.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite:1953 - Elizabeth II. wird gekrönt und gönnt sich ein Hühnchen.)

1953
London: Elizabeth II. wird gekrönt und gönnt sich ein Hühnchen.

Eigentlich war sie damals schon seit über einem Jahr Königin, aber erst am 2. Juni 1953 fand in Westminster Abbey die Krönung statt. Und mit dem ersten Dinner machte sie klar, dass sie nicht viel für große Gesten übrig hat:

Ein Hühnchen mit einer Hand voll Wurzelgemüse, Thymian, Lorbeer und Petersilie, einigen Knoblauchzehen und einer halben Zwiebel in einem großen Topf knapp mit Wasser bedecken und 45 Minuten weich kochen, nach 30 Minuten kräftig salzen. Danach das Fleisch von den Knochen lösen und in mundgerechte Stücke teilen. 1 Zwiebel schälen, würfeln und mit 1 EL Öl 3 Minuten dünsten. 1 EL Currypulver und 1 EL Tomatenmark zugeben, mit 2 EL Zitronensaft und 100 ml Rotwein ablöschen. 10 Minuten einkochen, bis die Flüssigkeit fast verdunstet ist. 4 Aprikosenhälften aus der Dose mit der Reduktion pürieren, abkühlen. 150 ml Sahne schlagen und mit 200 g Mayonnaise und dem Currypüree verrühren, mit Salz und Pfeffer abschmecken. Hühnerstücke mit der Sauce mischen, je 200 g gekochten Reis und Erbsen zugeben und mit Brunnenkresse anrichten. Modernere Versionen des Rezeptes arbeiten meistens mit Brühe (statt Rotwein), Mangochutney (statt Aprikosen) und schlagen vor, die Zwiebeln zusammen mit frischem Ingwer zu dünsten.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: 1990 - Kohl und Gorbatschow beschließen ihr treffen mit Kartäuser Klössen.)

1990
Deidesheim: Kohl und Gorbatschow beschließen ihr treffen mit Kartäuser Klössen.

Beide hatten die Gunst der Stunde erkannt, Deutschland war wiedervereinigt, und am Abend des 10. November feierten Kohl und Gorbatschow ihren gemeinsamen Erfolg. Neben Saumagen, gebackener Griebenwurst und Grünkernsuppe gab es für die beiden politischen Schwergewichte auch noch ein gaaanz leichtes Dessert:

Um klassische Kartäuser Klöße zu machen, kocht man 180 ml Milch mit 1 Zimtstange, einer halben Vanilleschote und 1 EL Zucker auf. Dann vom Herd nehmen. Die Rinde von 4 altbackenen Semmeln entfernen. Die Semmeln in jeweils 6 Stücke schneiden, mit der Milch begießen, zudecken und 30 Minuten ziehen lassen, nach 15 Minuten einmal wenden, damit alle Stücke gleichmäßig durchziehen. Die Brotstückchen in Paniermehl wälzen (am besten aus zwei weiteren Semmeln selber reiben) und in einer großen Pfanne mit je 5 EL Butter und Öl goldbraun ausbacken. Die fertigen Klöße auf Küchenpapier abtropfen, in Zucker und Zimt wälzen und mit Vanillesauce (für Kohl und Gorbatschow gab es damals zusätzlich Grand-Marnier-Eis) servieren.