Wohlfühlkirche

Die Wohlfühlkirche ist der Rückzugsort für ein verschrecktes Christentum.

Mein Vater war Pfarrer. Evangelisch, fragten die Leute oft, dann lachten sie, natürlich war er evangelisch. Aber Papst, Pfarrer, Pastor, das sind alles so merkwürdige Wörter, da kommt man leicht durcheinander. Evangelisch, katholisch? Das mit der Kirche ist nicht mehr so selbstverständlich.

Wie schwer sich aber gerade manche Pfarrer damit tun, aus dieser Defensive herauszukommen, das habe ich an einem Weihnachtsabend in der Berliner Gethsemanekirche verstanden, ausgerechnet dort, wo einst die Bürgerrechtler vom Prenzlauer Berg zeigten, wie wichtig und wertvoll eine Kirche sein kann, die selbstbewusst ist und störrisch. Nun stand dort ein Pfarrer, der von einem Mann namens Josua erzählte und wie der immer wieder die irdenen, das war sein Wort, die irdenen Tonlampen umwarf, und das Öl floss auf den Boden und alle waren recht traurig darüber. Von Jesus sprach er nicht und auch nicht wirklich von Weihnachten, und es schien so, als schäme er sich für den eigenen Bedeutungsverlust, als habe er Angst, dass ein falsches Wort reichen würde, und wir, die wir doch sonst nie hier waren, würden einfach wieder aufstehen und gehen und schauen, was gerade im Fernsehen läuft.

Ich habe an Weihnachten fast nur Pfarrer erlebt, über deren Predigten ich mich erst gewundert und dann geärgert hatte. Warum dieser Ton, als ob man mit Kindern redet, denen man die Wahrheit nicht zutraut? Warum diese Anschmiegsamkeit in der Wortwahl? Warum dieser Anschein von Selbstverwirklichungsgruppe?

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Mal kam statt der Predigt der heitere Kanzeldialog eines Pfarrerehepaares, als säßen wir mit ihnen am Küchentisch. Mal weigerte sich der Pfarrer, das lutherisch vorgeschriebene Mindestmaß an Reflexion und Nachdenken wenigstens anzupeilen. Dabei ginge es genau darum, in unserer rationalisierten Welt die schwierigen Fragen nach dem Glauben und dem Zweifel neu zu stellen. Es ginge darum, die harten, schönen Worte aus der Bibel wieder zu Werkzeugen zu machen, mit denen man die Gegenwart verstehen kann. Es ginge um Selbstbewusstsein statt Selbsthilfegruppe.

Der Pfarrer in der Gethsemanekirche ließ die irdene Lampenschale ungefähr viermal zerbrechen. Josua ist eben sehr, sehr ungeschickt. Die Wohlfühlkirche, das verstand ich, ist der Rückzugsort für ein verschrecktes Christentum. Als ich nach dem Gottesdienst in den kalten, klaren Abend hinaustrat, fühlte ich mich leer, verfolgt vom Klang der Querflöte, mit dem die Frau des Pfarrers uns malträtiert hatte.
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Die Rubrik 50 Zeilen wird von drei Autoren abwechselnd gschrieben. Auf Georg Diez folgt nächste Woche Andreas Bernard, danach Tobias Kniebe.