Grüner wird's nicht

Sehen Sie die Farbe dieser Überschrift? Ja? Damit sehen Sie schon das Wichtigste zu diesem Thema. Wenn Sie noch ein wenig mehr wissen wollen: Lesen Sie weiter.

Plötzlich ist es überall, aber warum das so ist, kann einem keiner recht erklären: Dieses Grün sei »mal wieder dran gewesen«, sagen Werbeleute und Farbforscher, es sei »eine rotzfreche Farbe« und wirke »frisch und natürlich«. Und es falle auf. Freunde, mit Binsen kommen wir nicht weiter. Warum hat dieses Grün einen Winterschlaf auf der Farbpalette gehalten? Lange gab es nur Haarshampoos in Quietschgrün, die hießen Timotei oder Fructis von Garnier. Und warum drücken jetzt Firmen aller Branchen auf die Tube, als herrschte Panik, den Zug zu verpassen?

Die neuen Apothekenketten wie Doc Morris und easy Apotheke verwenden die Signalfarbe für ihr Logo und ihre Plakate, die Weight Watchers, Telekom Austria und die OMV-Tankstellen, der Hörgerätehersteller Geers, der Cornelsen-Verlag für seine Lehrbücher, der Münchner Verkehrsverbund, die Bank Sarasin & Partners, der Drachen Verlag und die DAB Bank. Deren Logo war bis vor Kurzem beige und schwarz, jetzt hat man es in das laute Grün getunkt; bis letztes Jahr hatten die Skirennläufer des DSV noch Rennanzüge mit gelbem Streifen am Ärmel, dieses Jahr sind sie schockgrün, schockgrün wie die Plastikgriffe der Skistöcke, mit denen sie die Slalomstangen zur Seite hauen.

Dieses Grün hat keinen Namen, dafür zwei Varianten: leicht schmutzig, mit einem Schuss ins Gelbe wie bei der Kosmetikkette Yves Rocher, häufiger jedoch stechend klar und rein wie beim Telefonanbieter Mobilcom-debitel. Immer aber kann man der Farbe die Wörter Gift, Knall oder Schock zur Charakterisierung voranstellen. Sie treffen den Kern: Die Farbe ist hart, sie schmeichelt nicht, sie fordert Aufmerksamkeit und hält jeden auf Distanz, sie ist kalt, sie macht es einem nicht leicht. Es gibt einfachere Farben, Blau oder Beige oder Rostrot - doch leicht war gestern, leicht ist vorbei.

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Dieses Grün ist eine moderne Farbe, das wissen Marketingfachleute selbstverständlich. Es ist viel moderner als seine braven Tanten Tannen- oder Flaschengrün. Die stehen für Hoffnung, das ist natürlich was Schönes, und sie stehen für Umwelt, das ist natürlich was Wichtiges, aber: Sie irritieren auch niemanden - und selbst das historische Hoch einer einstmals kleinen Partei besagt ja nur: Grüne, willkommen im Mainstream. Und dennoch: Wenn es ein Gebot der Stunde gibt, dann heißt es Grün, heißt Umwelt, Klima und Nachhaltigkeit. Damit die Farbe aber die Leute aufrüttelt, muss es knallen.

Wie bei Yves Rocher. Die Kette, die auf Naturkosmetik setzt, hat 2009 die Farbe ihrer Marke von Türkis in Knallgrün geändert, weil »jetzt die Werte des Gründers sichtbar gemacht werden«, mit den Ressourcen der Natur verantwortungsvoll umzugehen, heißt es im Pressetext. Man kann ob der geschwollenen Sprache lächeln, man kann sie aber auch übersetzen. Und dann steht da wie bei all den anderen Knallgrüns auch: Wacht auf, ihr Lohas, fangt endlich an die Welt zu retten! Das neue Grün lässt keinen Zweifel daran, dass es anstrengend werden wird, wenn wir gut leben und dennoch die Erde retten wollen, machen wir uns nichts vor.

Ja, und noch etwas sagt das Grün, nämlich: Die Roten machen nicht mehr viel her. Rot ist out, und Pink, seine vorlaute Schwester, hat jeder satt. Müsste man Rot und Pink einem Geschlecht zuordnen, so wäre das die Frau, Grün aber meint beide Geschlechter - und wir können im Moment jeden Mann gebrauchen. In einem Standardwerk zur Farbenlehre von Eva Heller sind der Farbe Rot 15 Kapitel gewidmet. Manche tragen schöne Namen wie »Das Blut und die Lebenskraft« oder »Die Farbe aller Leidenschaften«. Die anderen aber heißen »Die Farbe des Adels und der Reichen«, »Die Luxusfarbe aus Läusen«, »Die roten Fahnen des Kommunismus«, »Die Farbe der Korrektur und der Kontrolle«. Und man liest das und fragt sich: Sind das nicht altmodische, überholte und langweilige Begriffe?

Die Kapitel über Grün im Buch der Farbenlehre hingegen sind überschrieben mit: »Die Farbe des Lebens«, »Die heilige Farbe des Islam«, »Der Frühling und florierende Geschäfte«, »Grün ist die Hoffnung«, »Gesundes Grünzeug«, »Herbe Frische«, »Das Unreife und die Jugend«, »Am grünen Tisch«, »Die Natur«. Ja, denkt man, genau das sind die Themen unserer Zeit, und dieses neue Grün passt gut dazu. Doch viele fürchten es. Die meisten Firmen scheinen sich für ihr Giftgrün im Logo zu entschuldigen und schieben schnell ein Dunkelblau nach: Das Online-Vergleichsportal check24 schreibt nur »24« grün, das »check« aber blau, die easy Apotheke gibt Dunkelblau zum harten Grün, der Münchner Verkehrsverbund, die DAB Bank und die OMV-Tankstellen auch.

Blau, das steht in jeder Farbenlehre, schafft Vertrauen, wirkt seriös. Die Firmen beruhigen die Kunden durch das Blau, nachdem sie sie durch das Grün aufgeschreckt haben. Aber haben wir nicht alle mal gelernt, Blau sei eine kalte Farbe? Doch. Nur ist dieses Grün noch viel kälter als Blau. Das kalte Grün wirkt, als liefere es den CSI-Ermittlern einen entscheidenden Hinweis auf den Mörder, es sieht aus wie im Labor gemischt, wie im Internet ausgetüftelt, wie für Überwachungsmonitore auf Intensivstationen erfunden oder für eine Welt, in der sich Avatare wohlfühlen. Wenig Menschliches. Das kalte Grün will uns aufrütteln. Das ist vielleicht schon alles. Es ist eben eine moderne Farbe für eine moderne Zeit. Ob es eine gute Zeit gewesen sein wird, wissen wir, wenn die nächste Farbe unsere Bildschirme und Plakatwände erobert hat. Mit allem außer Schwarz könnten wir ganz gut leben.