Kruzifix. Noch mal

In Bayern wird wieder ums Kreuz gestritten. Diesmal in einem kleinen Ort am Tegernsee.

»La Paz«, Frieden, heißt das Kreuz, das in Miesbach so viel Unruhe stiftet. Hätten die Lehrer der örtlichen Grundschule geahnt, wie heftig sich manch einer über Form und Farbe eines Kreuzes ereifern kann, sie hätten wohl darauf verzichtet, zwanzig Stück des Modells La Paz für ihre Klassenzimmer zu kaufen. Miesbacher Bürger haben ihren erbitterten Widerstand dagegen erklärt. Sie wollen partout nicht, dass andere Kreuze an Stelle der alten Kruzifixe in den Klassenzimmern ihrer Kinder hängen. In der Lokalpresse findet seit Wochen kein Thema mehr Beachtung als dieser Zwist. Ein Kind soll gar geweint haben, weil der »Herrgott aus unserer Schule vertrieben wird«. Wie konnte das passieren?

Miesbach, rund 12000 Einwohner, nur 15 Kilometer vom Tegernsee entfernt, eine der reichsten und wohl auch landschaftlich schönsten Gemeinden Oberbayerns. Ende letzten Jahres beschlossen die Lehrer der örtlichen Grundschule, die alten Kruzifixe gegen neue auszutauschen. »Bei den alten fehlte dem Christus oft schon ein Bein.« Eine Lehrerin empfahl die bunt-fröhlichen Kreuze aus El Salvador, die ohne geschundenen Korpus auskommen, dafür aber mit Menschen und Tieren bemalt sind – sehr kindgerecht, wie man dachte, warum also nicht? Der Elternbeirat zeigte sich einverstanden. Der evangelische Pfarrer spendete bereitwillig. Was sollte da noch schiefgehen, selbst in Bayern? Der katholische Pfarrer zeigte sich unglücklich ob der Wahl gegen die Tradition. Ein Vater aus dem Ort, dessen Kind erst im Herbst schulpflichtig wird, witterte einen Skandal, erinnerte an 1941, als die Nazis vergeblich versuchten, die alten Kruzifixe aus den Klassenzimmern zu entfernen. Der selbst ernannte Volkstribun schrieb seitenlange Briefe, forderte die Rektorin zur Stellungnahme auf, wandte sich an die Bürgermeisterin, alarmierte Kultusministerium wie Schulverband, lancierte Leserbriefe in der Lokalpresse, rief auch im Radio zum Widerstand auf und traf anscheinend den Nerv einiger weniger Mitstreiter. Irgendjemand fühlte sich sogar bemüßigt, Kreuzkäufer wie Kreuzverkäufer mit Telefonterror und Nazivergleichen zu überziehen.

Die Schulleitung reagierte besonnen mit dem Vorschlag, eine Gedenkecke für den Miesbacher Widerstand 1941 einzurichten. Außerdem berief man sich auf den Erzbischof Friedrich Kardinal Wetter, der dereinst sprach: Christen kannten jahrhundertelang nur Kreuze ohne Korpus. Die Friedensangebote wurden ausgeschlagen.

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Wer bestimmt also in Bayern, welche Kreuze in den Klassenzimmern hängen? Der Kultusminister will sich zu dem heiklen Thema nicht äußern. Der Schulverband schon, allein er ist laut Schulrektorat in der Frage gar nicht zuständig. Die Bürgermeisterin ist jetzt dagegen, der katholische Pfarrer enthält sich inzwischen lieber der Stimme, und das entnervte Schulrektorat will zur Sache nun gar nichts mehr sagen, nachdem die stellvertretende Rektorin als »grüner Nationalsozialist« verunglimpft wurde.

In Miesbach, so scheint es, findet der in Bayern besonders lange und heftig ausgefochtene Kulturkampf zwischen Moderne und Tradition eine Neuauflage, wieder einmal. Nur warum Miesbach, warum in der Frage des Kreuzes? Das versteht eigentlich keiner. Seit zehn Jahren importiert Christa Moser die fraglichen Holzkreuze aus El Salvador, mit Plakafarben handbemalt, 35 Euro für das große Kreuz mit 44 Zentimeter Höhe. Ihr Gilchinger Verein Vamos GmbH hat sich dem fairen Handel mit der Dritten Welt verschrieben. Überall in Bayern hängen die bunten Kreuze: in katholischen wie evangelischen Pfarrhäusern, in der Volksschule von Kolbermoor, im Schrobenhauser Kindergarten, in der Erlanger Psychiatrie, im Harlachinger Krankenhaus.

Wer in München Flugangst bekommt, den schicken die Seelsorger mit einem Kreuz aus El Salvador ins Flugzeug. Auch auf zufriedene Kundschaft von Schulen aus Schweden, der Schweiz und Österreich kann Christa Moser verweisen. Sicherlich 150000 mittelamerikanische Kreuze hängen in Europa.

Der evangelische Pfarrer Christian Waegele, der für den Spendenverein Vamos e. V. die Hilfe in Mittelamerika koordiniert, vermutet hinter dem Miesbacher Widerstand eine Ablehnung der lateinamerikanischen Befreiungstheologie durch erzkonservative bayerische Katholiken: »Das bayerische Kruzifix mit Korpus betont die Gnade, die der Mensch durch Christi Leiden erfährt, das lateinamerikanische eher den klassenkämpferischen Gedanken: das Leiden Christi als das der ganzen Menschheit.« Die Schlacht von Miesbach würde also um einen bedeutenden theologischen Disput geschlagen und der Name der kleinen Gemeinde in Oberbayern noch in die Geschichtsbücher Eingang finden.

Die zwanzig Kreuze aus El Salvador harren derweil, in eine Kiste verpackt, im Keller der Miesbacher Volksschule einer Entscheidung.