Der Leberfleck des Grauens

Unsere Autorin möchte einen verdächtigen Fleck kontrollieren lassen. Beim Versuch, einen Hautarzt-Termin zu bekommen, erlebt sie eine kafkaeske Odyssee – und beginnt, an unserem Gesundheitssystem zu zweifeln.

Bei einem meiner vielen Versuche, einen Hautarzt-Termin zu ergattern, habe ich sogar ins Telefon geheult. Ich kann nicht mehr, habe ich gerufen und das erschreckte Zucken der Sprechstundentante am anderen Ende gespürt. Aber ich konnte es einfach nicht mehr hören, dieses: Wir nehmen keine neuen Patienten mehr an; sorry, aber da müssen Sie es wo anders versuchen; vielleicht rufen Sie im Januar noch mal an; wie Sie meinen, dann versuchen Sie es halt wieder – aber versprechen kann ich Ihnen gar nichts!

Seit etwa drei Jahren möchte ich mich von einem Hautarzt begutachten lassen. Vor circa 25 Jahren war ich zum letzten Mal bei einem, ich neige zu Leberflecken, ab 35 soll man alle zwei Jahre zum Hautkrebs-Screening, ich bin bald 50 und mich irritieren ein paar Stellen. Also habe ich in den letzten Jahren sporadisch etwa ein Dutzend Hautärzte angerufen, manche mehrmals, einige nie wieder; wahllos, in nächster Nachbarschaft oder weit entfernten Bezirken; die meisten von Freunden empfohlen, die behaupteten: Der ist okay, ich bin da seit Jahren! Ich traf auf zwei Varianten: Die einen wollten mich nicht haben, keine Zeit, keine Termine, keine neuen Patienten, schon gar nicht, wenn sie  gesetzlich versichert sind; die anderen heben gar nicht erst den Hörer ab, da springt gleich ein Anrufbeantworter an.

Die Sprechstundenhilfe, die ich anheulte, nannte mir immerhin eine Praxis mit »offener Sprechstunde«, für die ich »viel Wartezeit« mitbringen solle. Die habe ich nicht, ich bin berufstätige Mutter und mein Anliegen erschien mir noch nicht dringend genug. Daher wollte ich auch keine »Dringlichkeitsüberweisung« durch den Hausarzt an die Hotline der Kassenärztlichen Vereinigung, die mir einen Termin bei einem Facharzt vermitteln muss: innerhalb der nächsten vier Wochen, irgendwo in Berlin, in einer offenen Sprechstunde – mit viel Wartezeit.Ich wollte einfach einen ganz normalen Arzttermin und möglichst nicht jott we de.

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Vor vier Monaten bat ich dann meine Hausärztin, sich meinen Leberfleck anzugucken. Sie sagte, dafür würde sie mich lieber zu einem Hautarzt überweisen. Ich sei ja auch noch nie beim Hautkrebs-Screening gewesen. Sie gab mir eine Adresse, der sei gut und normal. Viele Hautärzte würden halt lieber schönheitschirurgische Privatleistungen abrechnen, statt die mageren Sätze fürs Leberfleckanschauen. Diesmal wollte ich es wissen und rief immer wieder bei dieser Praxis an, dutzende Male, während und außerhalb der Sprechzeiten – mit dem immer gleichen Resultat: Anrufbeantworter. Auf den man aber nichts draufsprechen kann. Es muss eine Anrufunbeantworterpraxis sein. Das ist wohl so was ähnliches wie eine Briefkastenfirma.

Es kann Pech sein, Zufall, Schicksal. Vielleicht hat sich der liebe Gott gedacht, die blöde Bleuel lass ich schön langsam an einem popligen Leberfleck verrecken. Doch dann sah ich Hilferufe von Facebook-Freunden: Ob jemand in unserer großen Stadt, ich lebe in Berlin, einen Hautarzt empfehlen könne, der einen noch nimmt? Ewige Suche und so weiter. Diese Hilferufe bekamen sehr viele Likes, und ich beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen.

Bei der Kassenärztlichen Vereinigung sagt man mir, statistisch gesehen sei die Grundversorgung mit Hautärzten in Berlin gewährleistet, auf jeden Dermatologen kämen 21.703 potentielle Patienten, das seien sogar etwas mehr Hautärzte als von der offiziell errechnete Bedarfsplanung vorgesehen. Aber was nützt es mir, wenn ich offenbar die einundzwanzigtausendsiebenhundertvierte bin? Der sehr nette Pressesprecher meiner Krankenkasse sagt, er sei erst gestern bei seinem Hautarzt gewesen, alles top! Die Stiftung Patientenschutz sagt, das Problem sei ihr noch nicht bekannt. Die Verbraucherzentrale immerhin kennt das Problem mit den Facharztterminen, nur speziell vom Hautarzt hat sie noch nicht gehört.

Zwischendurch rufe ich meinen besten Freund an, er ist Stammgast bei einem Hautarzt. Den würde ich gern mal sprechen, einfach so, aus beruflichem Interesse. Leider hat er keine Zeit.

Ich beginne, mich ausgestoßen zu fühlen. Ich frage eine Insiderin (meine Freundin, sie ist Ärztin am größten Krankenhaus der Stadt), sie sagt: Sie gehe nie zum Arzt und zum Dermatologen schon gar nicht, das sei eklig. Unterdessen erscheint mir mein Anliegen zunehmend dringlich. Ich überlege, ob ich mit meinem Leberfleck in eine Notaufnahme gehen soll. Eine Freundin mit Schuppenflechte hat das nach einer ähnlichen Odyssee in einer anderen deutschen Großstadt getan. Ich eruiere schon mal den Anfahrtsweg zur dermatologischen Fachklinik. Für meinen Leberfleck.

Nebenbei lese ich im Internet Artikel aus Lokalzeitungen in Flöha, Bad Saulgau oder Salzwedel, da haben sie auch Probleme, einen Termin beim Hautarzt zu bekommen. Ein Kollege von der Badischen Zeitung in Freiburg hat herausgefunden, dass Hautärzte laut Statistischem Bundesamt inzwischen die Hälfte ihres Umsatzes mit Leistungen machten, die die gesetzlichen Krankenkassen nicht bezahlen, also alles Kosmetische wie Tattoo-Entfernung oder Faltenunterspritzung. Hinzu käme, dass das Hautkrebs-Screening, auf das Kassenpatienten alle zwei Jahre ein Anrecht haben, noch gar nicht zur Debatte stand, als man in den Neunzigerjahren die Bedarfsplanung ausrechnete. Fazit: Auch bei ausreichend Praxen könne sehr wohl von einem »gefühlten Hautarztmangel« die Rede sein.

Nach Monaten des Rumtelefonierens frage ich mich als kleines Kassenwürstchen allerdings, was noch passieren muss, dass aus dem »gefühlten Hautarztmangel« ein attestierter wird. Ist das Zufall, ein Fehler im System oder Versagen meinerseits? Ach, würde ich gern mal mit einem Hautarzt sprechen! Also rufe ich schließlich den an, bei dem ich vor 25 Jahren war. Laut Webseite bietet er jetzt auch Lösungen für »kosmetisch orientierte Herausforderungen« an: Schönheits-Operationen, Botox-Injektionen, Hyaluronsäure, Filler-Behandlungen, Mesotherapie und Laser-Behandlungen mit fünf verschiedenen Geräten.

Immerhin, jemand hebt ab. Ich soll es im Januar wieder versuchen.

Foto: sto.E/photocase.de