Prince of Paderborn

Warum heißen Drinks so oft nach Metropolen, fragte unser Autor kürzlich. Dann stieß er mitten in Hamburg auf einen Cocktail, der nach einer Stadt in NRW benannt ist. Hat der Barbesitzer ihn etwa erhört?

Foto: Erli Grünzweil

Im Sommer bin ich 48 geworden – ich finde: ein Alter, in dem man sich auch mal selbst zitieren kann, ohne gleich als Angeber zu gelten. Erinnern Sie sich? Vor einigen Monaten habe ich mich an dieser Stelle gefragt, warum Cocktails so oft nach Weltstädten wie London, Moskau, Singapur und nie nach kleineren Orten benannt werden, mittelgroßen Städten ohne U-Bahn, dafür mit Hotelzimmern für unter 200 Euro. Ich hatte sogar Vorschläge gemacht, den Kaiserslautern Kiss, den Royal Regensburg, den Sex in Sendenhorst. Ehrlicherweise habe ich nicht damit gerechnet, dass jemand die Idee aufgreifen könnte, die Sache war ein Witz. Schon klar, dass ein Cocktail, der Sex in Sendenhorst heißt, eher kein internationaler Renner wird, weil man die Ironie weder in Dubai noch in Tokio versteht, wissen ja schon die meisten Deutschen nicht, wo Sendenhorst liegt, nämlich in Nordrhein-Westfalen, zwischen Hamm und Münster.

Und dann war ich wieder mal ein paar Tage lang in Hamburg und verabredete mich mit der wild gelockten Frau, die ich so lieb gewonnen habe, seitdem sie mir vor Jahren einen Leserbrief geschrieben hatte, weil sie auch so gern Pastis in Marseille trinkt. Eine Stunde später saßen wir im »Central Congress«, einer Bar um die Ecke vom Hauptbahnhof, die aussieht wie ein Konferenzraum aus den Sechzigerjahren im Bonner Regierungsviertel: Designerstühle, hölzernes Wandfurnier, mit Leder bespannte Tische – würde Herbert Wehner reinspazieren und einen Sherry bestellen, man dächte nicht: Wie ist das möglich? Sondern: Ach, der Herbert hat Durst.

Alles begann mit einem ganz und gar unwichtigen Text über ein Glas Pastis in Marseille

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Ich warf einen Blick auf die Karte, schaute weg, dann wieder hin: Ich hatte mich nicht getäuscht, da stand es schwarz auf weiß: Prince of Paderborn. Selbstverständlich war ich augenblicklich davon überzeugt, dass ein warmherziger Barbesitzer meine Beschwerdekolumne gelesen, ein bisschen herum­experimentiert und schließlich den Prince of Paderborn auf die Karte gesetzt hatte. Klar könnte er auch schon vorher im Angebot gewesen sein, es kommt immer wieder vor, dass zwei Menschen unabhängig voneinander dieselbe Idee haben (»Lustig, dass du dich meldest, ich wollte dich auch gerade anrufen«), aber das möchte ich nicht glauben, und deswegen habe ich auch nicht nachgefragt, weil ich mir die Illusion nicht kaputtmachen will, dass ein Text von mir tatsächlich die Wirklichkeit verändert, womöglich bereichert haben könnte.

Als Getränkekolumnist hat man dieses Gefühl eher selten: Wir bringen keine korrupten CEOs hinter Gitter, stürzen keine Diktatoren, befreien keine Oppositionellen. Das ist angenehm, weil man wieder mal keine Verantwortung übernehmen musste – die schlaflosen Nächte von Getränkekolum­nisten finden, wenn überhaupt, in Bars statt –, andererseits tauchen in unregelmäßigen Abständen quälende Fragen auf: Was tut man hier eigentlich? Wer hat etwas von diesen Texten? Ist es zynisch, über Cocktails zu schreiben, während die Welt aus den Fugen gerät? Manchmal fühlt man sich regelrecht hilflos, weil man nicht weiß, wie die eigenen Texte auf die Menschen da draußen wirken. Lesen sie sie überhaupt? Und wenn ja, fühlen sie sich inspiriert, verstanden, womöglich getröstet?

»Noch ein Drink?«, fragte die wild gelockte Frau, die so gern Pastis in Marseille trinkt. »Klar«, sagte ich. Wir kennen uns seit ein paar Jahren. Manchmal hören wir monatelang nichts voneinander. Wir sehen uns noch seltener, sie ist noch mehr unterwegs als ich. Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass wir noch eine Rolle füreinander spielen. Und alles begann mit einer Getränkekolumne. Alles begann mit einem ganz und gar unwichtigen Text über ein Glas Pastis in Marseille.