Warum gibt es keinen Royal Regensburg oder Sex in Sendenhorst?

Drinks werden oft nach Weltstädten benannt. Unser Autor schlägt vor, als Symbol der Vielfalt auch kleinere Orte zu ehren – und verrät das Rezept für einen »Lost in Berlin«.

Foto: Erli Grünzweil

Singapore Sling, London Buck, Pari­sienne, Moscow Mule – viele berühmte Drinks tragen eine Stadt im Namen; Städte verströmen Atmosphäre, wecken Erinnerungen, befeuern Sehnsüchte, vor allem die immer gleichen Weltstädte, in denen man gelegentlich ein Wochenende verbringt, Zeug kauft, Fotos macht, durch Museen hetzt und abends in ­einer Bar rumsitzt, weil Freunde meinten, da müsse man unbedingt hin, Wahnsinnsort, Hammerdrinks, Dachterrasse und so weiter. Zweieinhalb Tage später ist man erschöpft und zahlungsunfähig, dafür hat man fast alles »geschafft«, was man sich vorgenommen hat, sogar den Flohmarkt am Sonntagmorgen. Wieder mal hat man London, Paris, New York so vorgefunden, wie man sie sich in der Vorstellung zurechtgelegt hat, wieder mal wurden die üblichen Erwartungen bestätigt: Ja, aufregende Stadt, aber auch teuer, und nein, leben wolle man hier nicht, zu stressig, aber schon faszinierend, das Flair, die Menschen, die Geschwindigkeit, nächstes Jahr auf jeden Fall wieder, gelegentlich müsse man rauskommen, nicht dass man am Ende noch bequem oder eng im Kopf werde.

Warum aber reisen wir immer wieder in dieselben ausgelutschten Städte?

Und warum kommt niemand auf die Idee, einen Drink nach einer kleineren Stadt, womöglich einem Dorf im Erz­gebirge zu benennen? Könnte doch lustig sein, inspirierend, ein Symbol für Vielfalt. Warum gibt es keinen Royal Regensburg oder Sex in Sendenhorst? Keinen White Wuppertal oder Kaiserslautern Kiss? Und wenn es sie gäbe, was wäre drin? Wonach schmecken solche Orte? Seit ein paar Jahren gibt es immerhin einen Cocktail, der nach Berlin benannt ist, den »Lost in Berlin«. Entdeckt habe ich ihn ausgerechnet in der Züricher »Kronenhalle«, einem glamourösen Ort, den Berlin gern hätte, aber nicht hinkriegt, weil das Format und das Geld fehlen. Ver­stehen Sie mich nicht falsch, ich bin gern in Berlin, habe sogar mal da gelebt und alles mitgemacht, wofür die Stadt berühmt ist. Eine aufregende Zeit, aber noch mal brauche ich sie nicht. Lost in Berlin – der Name ist großartig, weil er stimmt. Man geht in Berlin leicht verloren. Schon damals lernte ich nur Menschen kennen, die keinen Beruf hatten, sondern ein bisschen DJ, ein bisschen Künstler, ein bisschen Barkeeper und ein bisschen Sohn oder Tochter waren. Lost in Berlin – das passt auch, weil Berlin selbst ein bisschen lost ist. Als es bei der Mitgliederversammlung der Hertha BSC neulich Würstchen und Kartoffelsalat gab, stand in der ­Zeitung, dass Pessimisten geunkt hätten, ob sich der Club so was wie Bockwürste überhaupt leisten könne. Wenn ich heute durch Mitte oder Neukölln laufe, spüre ich eine Mischung aus Nostalgie und Mitleid. Sie wissen schon, der Flughafen, die Ämter, die Fax­geräte, die Hotelmitarbeiter, die mangelnden Service mit großflächigen Tätowierungen auszugleichen versuchen, diese seltsame Mischung aus groß und international und klein und piefig.

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Ach ja, der Lost in Berlin ist eine Kreation von David Marxer, zweiter Barchef der Züricher »Kronenhalle«. Er geht zurück auf eine durchgefeierte Nacht in einer Berliner Bar namens »Lost in Grub Street« und dem oben beschriebenen Gefühl: dass man in Berlin so leicht abhandenkommen kann, und zwar der Welt und sich selbst. Dass diese Stadt zu einer Art zweiten Wirklichkeit werden kann, mit anderen Regeln – oder gar keinen. Das ­Rezept: 6,75 cl Wermut, 2,25 cl Amaro Montenegro und 0,75 cl Quittenschnaps. Mit Eis rühren und abseihen. Mit einer Orangenzeste aromatisieren und garnieren. Schmeckt etwas bitter, leicht würzig, nach Quitte, ein Hauch Maggikraut. Am besten im Tumbler mit einem großen Eiswürfel servieren. Oder man trinktihn gleich in der »Kronenhalle«. Aber Fränkli nicht vergessen!