Wenn Leute früher sagten, dass sie jetzt mal eine Zeit keinen Alkohol trinken, waren sie entweder schwanger oder sie hatten ein Problem. In beiden Fällen guckte man mitleidig. Heute wird man eher mitleidig angeguckt, wenn man mal keine Pause vom Alkohol macht. Ich kann auf keine Party gehen, ohne dass irgendjemand sagt: »Kein Drink für mich, ich mache gerade Alkoholfasten.«
»Wonderleaf«, »GinSin 12 Botanics« oder »Sugar Cane Type: This is not Rum«. Das Hinzufügen des Getränks, das es nicht sei, ist ein guter Trick, den auch die Milchersatz-Industrie vollführt. Auf Packungen der Drinks aus Soja, Mandel und Hafer steht recht groß »No Milk«. Denn diese Getränke dürfen sich nicht Milch nennen, aber durch diese Beschriftung wird immerhin klar, was sie ersetzen.
Ich finde toll, was inzwischen alles möglich ist. Zumal manche der Fake-Spirituosen wirklich okay schmecken, wenn man sie zu Cocktails mixt. Mich befremdet nur, wie daraus schon wieder eine Haltung gemacht wird. Es ist ja nicht so, dass die Leute in eine Bar gehen und sagen: Für mich dann mal bitte einen Dirty Martini alkoholfrei. Nein, es gibt längst eine ganze Bewegung dazu, samt Podcasts, Partyreihen und jeder Menge Posts auf Instagram. »Sober Curious« nennt sich der neue Trend zur Abstinenz: nüchtern neugierig. Er kommt aus New York, wo die Autorin und Partyveranstalterin Ruby Warrington ihre Erfahrungen mit dem Alkoholfasten zu einem Bestseller verarbeitet hat. Nicht zu trinken ist für Warrington nicht nur etwas, das nun mal ganz vernünftig ist. Sondern auch eine »Reise«, um sich klüger, schöner, fokussierter, interessanter und »grenzenlos präsent« zu fühlen. Um mehr zu empfinden und eine »tiefe Verbindung« zu allem herzustellen, Nüchternheit ist also im Grunde der bessere Alkohol.
Die nüchternen Neugierigen mit ihren alkoholfreien Edeldrinks wollen einem weismachen, dass man sich verlieren kann, ohne abzustürzen, dass man den Rausch ohne Kater bekommt und die Sühne ohne Schuld. Doch jeder Ernüchterung geht der Exzess voraus, das eine ist ohne das andere nicht zu haben. Das Glück des Verzichts kann man nur empfinden, wenn man weiß, wie schlimm sich das Übermaß angefühlt hat. Man kann nur runterkommen, wenn man drauf war. Saufen und dabei nüchtern bleiben wollen – das ist nicht nur unmöglich, das ist eine Anmaßung.
Dabei ist ja gegen interessante Getränke ohne Alkohol nichts zu sagen, aber glorifizieren muss man sie auch nicht gerade. Vielleicht einfach so: Mal gibt’s Drinks mit Alkohol, mal Drinks ohne, mal einfach gutes, altes, stilles Wasser, je nach Laune, und das alles, ohne eine Bewegung daraus zu machen, die einen irgendwie besser machen soll.