Alle Jahre wieder

Zu Glühwein findet man jede Menge Hass-Kommentare, wie sonst nur bei Themen wie Feminismus oder Klimawandel. Doch unsere Autorin liebt Glühwein, auch weil sie weiß, wo es den wirklich guten gibt.

Foto: Maurizio Di Iorio

Gibt es ein Getränk, das einen schlechteren Ruf hat als Glühwein? Ist ja auch kein Wunder, Glühwein ist der Begleiter der immer länger wirkenden Zeit zwischen September und Januar, in der Supermärkte Lebkuchen führen, Facebook Winterurlaubsziele in die Timeline pflanzt, ganze Innenstädte mit Holzbuden zugebaut sind und man kaum einen Schritt gehen kann, ohne auf fetttriefendes Essen, hässliche Straßenlaternen-Deko und fürchterliche Musik zu stoßen. Als müsste man das alles noch toppen, wird Glühwein in Sprüchetassen oder knirschendem Styropor ausgeschenkt, meistens viel zu heiß und süß, weshalb man sich erst den Mund verbrennt und un­mittelbar danach Kopfschmerzen bekommt.

Ich habe zu Glühwein eine Menge Hass-Kommentare gefunden, wie sie sonst nur Themen wie Feminismus oder Klimawandel hervorbringen. Ich zitiere daher den Schriftsteller Max Goldt, der schrieb: Hätte er Lust auf schlechten Rotwein, würde er ihn zumindest nicht erhitzen. »Man weiß ja von Coca-Cola und manchem Milchspeiseeis, daß eklige Dinge halbwegs tolerabel schmecken, wenn man sie stark kühlt.« Das ist sicher richtig.

Ich finde Glühwein aber toll. Nicht nur, weil ich Leuten, die glauben, das gesunde Geschmacksempfinden vertreten zu müssen, gern etwas entgegensetze. Sondern auch, weil Glühwein wirklich gut sein kann, vor allem wenn es »Winzerglühwein« ist – das ist Ihr Stichwort: Suchen Sie danach auf dem Weihnachtsmarkt oder im Weinhandel. Deutschland ist eine Glühweinnation, jedes Jahr trinken wir geschätzt 50 Millionen Liter Glühwein. Wenn wir also irgendwann mal gar nichts mehr miteinander teilen, dann immer noch die Hingabe zum Glühwein. Die Volkspartei des Weihnachtsmarkts.

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Viele Weinbauern nehmen Rotweine wie Dornfelder, Lemberger oder Burgunder und lassen darin Zimtstangen, Sternanis, Kardamom, Gewürznelken und Orangenschalen ziehen. Das Ganze wird dann einerseits in Flaschen für zu Hause abgefüllt, andererseits in 50-Liter-Fässern an Discounter oder Weihnachtsmärkte ausgeliefert. Die Hitze (maximal 70 Grad!) wirkt wie ein Verstärker, und man bekommt Noten wie Brombeeren oder Cassis mit, die für kräftige Rotweine typisch sind. »Winzerglühwein« – gute Sache. Und es wird nicht mehr lange dauern, bis es die ersten Craft-Glühweine mit Manufaktur-Gewürzmischung für 6,50 Euro gibt. Ich werde die Erste sein, die das trinkt.

Vor allem aber hat das Ganze mit der Kälte zu tun. Glühwein schmeckt nur, wenn es kalt ist, und zwar richtig kalt. Unter Herstellern heißt es: Fünf Grad sind die magische Marke. Liegen die Temperaturen darüber, wollen die Leute keinen Glühwein. Glühwein heißt: richtiger Winter. Ein Winter, wie ich ihn aus meiner Kindheit kenne, mit viel Schnee und vereisten Seen und einer Art von Kälte, die einen erst hinaus- und dann rot gefroren wieder hineintrieb. Ich kenne mich zu wenig mit der Forschung aus, um zu sagen, ob es am Klimawandel liegt, dass mir die Winter von Jahr zu Jahr milder vorkommen, oder ob nur die Nostalgie die Vergangenheit eisig und glitzernd erscheinen lässt. Aber es ist eine Tatsache, dass sich die Winter über kurz oder lang verändern werden. Wir sollten die Glühweintage genießen, solange es sie gibt. Und uns.