Saufen für den guten Zweck

Gibt es einen akzeptableren Rausch als jenen, der aus Protest und einem Akt der Solidarität entsteht? Wohl kaum. Deshalb: Eine Lokalrunde Mexikaner, bitte! 

Foto: Maurizio Di Iorio

Vielleicht kennen Sie diese Momente, in denen der Zusammenhang verlorengegangen scheint: Wozu sitze ich hier, was will mein Leben von mir, was will ich von meinem Leben, und wohin ist eigentlich das Wollen verschwunden? Was sollen die Brüche in meinem Herzen, im Leder meiner Handtasche? Und warum sitze ich hier nach drei furchtbar bedeutungsschwachen Rieslingschorlen und weiß nicht weiter in der Welt?

Vielleicht fällt es Ihnen auch weniger an sich selbst auf, sondern an den Leuten um Sie herum, wenn die plötzlich verzagt vor sich hinschauen. In diesen Momenten ist es an der Zeit für Solidarität, es ist an der Zeit, einen Mexikaner zu trinken, ach was, niemals nur einen, immer viele und auf keinen Fall allein. Los, Freunde, Lokalrunde!

Der Mexikaner wurde der Legende nach 1987 in einer schäbigen Kneipe auf St. Pauli erfunden, um den Geschmack eines schäbigen Obstbrands (der eben einfach wegmusste) mit Tomatensaft und Tabasco zu überdecken, mit Körper, mit Liebe, mit Salz, mit Schärfe, mit Bitterkeit, kurz: mit Leben. So wie alles Schäbige auf St. Pauli mit Leben zugedeckt wird, bis es irgendwie ganz okay ist.

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In den Monaten vor dem G20-Gipfel 2017 kam dann die bis heute beste Zutat in diesen kleinen, scharfen Shot. Protest. Hamburg war in Erwartung von Idioten wie Donald Trump, die Mexikaner waren in Erwartung von Trumps idiotischer Mauer, was lag da näher, als mit Mexikanern gegen ungeliebte Staatschefs anzutrinken? Erst taten sich nur ein paar Hamburger Kneipen zusammen, aber dann waren es deutschlandweit blitzschnell mehr als hundert, und auch Lokale in Dänemark, Schottland, Österreich, der Schweiz, Spanien, Asien und Südamerika waren an Bord. In all diesen Kneipen ging ein Teil des Erlöses der verkauften Solidaritätsshots zu Gunsten des zivilen Widerstands während des Gipfels, finanzierte Flyer, Plakate und Lautsprecherwagen.

Ich weiß nicht mehr, wie viele Soli-Mexikaner ich in der Zeit vor dem Gipfel getrunken habe, aber es waren viele, und, oh boy, saufen aus Protest und als Akt der Solidarität, ich kann mir keinen sinnvolleren Rausch vorstellen – auch der Kater am nächsten Tag geht in Ordnung. Erstens war es ja für einen guten Zweck, zweitens ist eher Vitamin C als Zucker in dem Drink, das Massaker im Kopf ist demzufolge nur halb so wild.

Wenn Ihnen also das nächste Mal nach Gemeinschaft und Zusammenhalt und von mir aus auch nach einer Revolte ist, empfehle ich folgendes Vorgehen: eine Lokalrunde Mexikaner bestellen. Wenn der Barkeeper nicht weiß, was das ist, dann ist es höchste Zeit, dass er es lernt. Danach eine weitere Lokalrunde Mexikaner bestellen. Auch wenn der Mexikaner traditionell nicht mehr als einen Euro kosten darf, sind hier kleine Kneipen natürlich eindeutig vorzuziehen. Nach der zweiten Runde ist es ratsam, den Laden von innen abzuschließen, denn die solidarische Gruppe steht jetzt bombenfest, für Außenstehende könnte es schwierig werden, da reingrätschen zu wollen, und das führt dann nur zu Ärger, und Ärger hat man ja schon genug, wenn man allein und verlassen und einsam ist, jetzt also bitte nicht.

Wenn der Mexikaner die Herzen aufgebrannt und den Zusammenhalt hergestellt hat, wenn die Schärfe des Tabascos den scharfen Konturen der Welt da draußen die Risshaftigkeit genommen hat, wenn die Temperaturen draußen und drinnen nicht unterschiedlicher sein könnten, wenn aus verzagten Gedanken endlich, endlich, endlich bunter Nebel geworden ist, dann am besten einfach tanzen, vielleicht irgendwas Revolutionäres auf dem Tresen.