Es war in Maputo in Mosambik, und die Sonne schien zäh und gnadenlos aus einem riesigen Himmel. Ein Zimmer hatte ich nicht mehr, in wenigen Stunden ging mein Flug nach Johannesburg. Ich stolperte mit meinem Gepäck in der Hand durch das gleißende Licht, entdeckte eine Bar, setzte mich in den Schatten und bestellte Wasser. Am Nebentisch saß ein Mann, Mitte vierzig, Portugiese vielleicht oder Brasilianer, dunkle Augen, unrasiert, in Jeans und Hemd und Sonnenbrille, keine Uhr, kein Ring am Finger.
Guter Typ, dachte ich. Ob er hier lebt? Ob er Kinder hat, Familie, einen Job? In den zwei Stunden, die wir einander schräg gegenübersaßen – wir waren die einzigen Gäste –, sagte er kein Wort. Er saß einfach nur da, schaute auf die Kreuzung und trank alle 15 Minuten einen Whiskey und einen Espresso. Ich konnte nicht erkennen, ob er glücklich, traurig oder auf der Flucht war. Möglich, dass er tief empfand, möglich, dass er ein Hohlkopf war, auf jeden Fall war er der coolste Typ, den ich jemals gesehen hatte – und er brachte mich dazu, davon zu träumen, ein anderer zu sein, als ich bin, ein Mensch ohne Nackenkissen, ohne Erwartungen vielleicht sogar und den Druck, ihnen gerecht zu werden.
Zurück in Deutschland kaufte ich mir eine Flasche Whiskey. Ich hatte das dringende Gefühl, dass ich mich ohne die Möglichkeit, mir jederzeit ein Glas einschenken zu können, um einen bedeutsamen Aspekt des Lebens betrog. Nach der Arbeit vielleicht oder nach dem Aufstehen im Pyjama, warum denn eigentlich nicht? Ich stand also in diesem Laden, hatte keine Ahnung, irgendwie begann alles mit »Glen«, und entschied mich für die Flasche mit dem schönsten Namen: Writers’ Tears, einen irischen Whiskey mit einer Träne auf dem Etikett und dem Hinweis, dass dieser Whiskey eine Hommage an all die großen Schriftsteller sei, die sich vom »Wasser des Lebens« trösten und inspirieren ließen.
Ehrlich gesagt, kann ich mich an jedes einzelne Glas erinnern, manchmal habe ich es nicht mal leer getrunken
Der Verkäufer erklärte mir, dass es sich um einen dreifach destillierten Pot-Still-Whiskey handle, nicht kältegefiltert, nicht gefärbt, mit einer »Explosion von Honig und Gewürzen«, aber ich hörte ihm nicht richtig zu. Meine Gedanken kreisten längst um Raymond Carver, F. Scott Fitzgerald, Truman Capote, diese genial melodramatischen Männer, die bis heute für ihre Sucht verehrt werden, während all die anderen Alkoholiker, die Ärzte, Erdkundelehrer und Hartz-IV-Empfänger, lediglich in Statistiken auftauchen dürfen. »Wer schreibt, trinkt auch«, hat der frühere Hanser-Verleger Michael Krüger mal geschrieben: »Ein Alkoholnebel liegt über der Weltliteratur.« Ich stellte die Flasche auf ein Teakholztischchen im Wohnzimmer, daneben zwei Gläser aus Kristall, es sah gut aus, es fühlte sich gut an.
Zehn Jahre später ist die Flasche immer noch knapp zur Hälfte gefüllt, ab und zu wird sie entstaubt, geöffnet habe ich sie seit Jahren nicht. Ehrlich gesagt, kann ich mich an jedes einzelne Glas erinnern, manchmal habe ich es nicht mal leer getrunken, sondern den letzten Schluck vergessen und in den Ausguss gekippt. Ein paarmal habe ich es versucht, nachts vor dem Fenster, wenn ich nicht einschlafen konnte, ein-, zweimal beim Schreiben, es hat nicht funktioniert. Ich bin kein Schriftsteller, ich bin kein Whiskeytrinker. Ich trinke am liebsten Spezi und schreibe Getränkekolumnen. Ich weiß bis heute nicht, wie es wäre, ein anderer zu sein, als ich bin. Ich denke auch nicht mehr so oft darüber nach. Manche sagen, das sei so, wenn man erwachsen wird. Das kann schon sein, aber ein bisschen traurig ist es auch.