Katastrophentouristen haben ein neues Ziel: Grönland. Hillary Clinton, Angela Merkel und EU-Präsident Manuel Barroso, alle waren sie schon auf der größten Insel unserer Erde, um die globale Erwärmung am eigenen Leib zu erfahren. Um mehr als zwei Grad stieg die Temperatur dort in den vergangenen zwanzig Jahren, inzwischen schmelzen jährlich unvorstellbare 273 Milliarden Tonnen Gletschermasse ab. Das ewige Eis von Grönland taut immer schneller und treibt die Meeresspiegel weltweit hoch: im Moment um knapp einen Millimeter pro Jahr, doch die Experten fürchten bis zum Ende des 21. Jahrhunderts einen Anstieg von mehreren Zentimetern, schlimmstenfalls sogar um anderthalb Meter. Sollten sie recht behalten, ist die Existenz von Millionen Menschen rund um den Globus gefährdet.
Und doch werden sich die Politiker auf der Klimakonferenz in Kopenhagen wohl wieder nicht zu einem ernst zu nehmenden und verpflichtenden Abkommen durchringen. Warum? Sind es nur ökonomische Zwänge? Oder liegt es an der zweideutigen Botschaft, die von den schmelzenden Gletschern Grönlands ausgeht: endlose Eislandschaften, türkisfarbene Bäche, von der Zivilisation scheinbar unberührt – eine Katastrophe sieht anders aus. Nur der schwarze Staub trübt das Bild: Ruß und Kohlestaub aus Nordamerika, Europa und China. Schwarz absorbiert Sonnenstrahlen, der Boden erwärmt sich stärker als bei sauberem Eis, das beschleunigt die bereits eingetretene Schmelze. Ein Problem, aber keine Katastrophe. Um das ganze Ausmaß der Bedrohung zu verstehen, hilft das Auge nicht. Das erklären nur Szenarien und Hochrechnungen der Wissenschaftler. Ihre Beweise sind erdrückend, aber letztlich eben auch Glaubenssache. Vielleicht ist das der Grund, warum viele den Klimawandel nicht ernst nehmen: Man kann ihn nicht sehen und muss doch glauben. Und damit, wusste der Evangelist Johannes schon vor 2000 Jahren, hat der Mensch nun einmal seine Schwierigkeiten.
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Mit einem Satellitenbild der NASA zur Orientierung brach der Fotograf Olaf Otto Becker mit einem Bergführer nach Grönland auf. Allein zum ersten Fluss marschierten sie zwei Wochen über Eis und Gletscherspalten. Der Schlitten mit der Ausrüstung ächzte, und Becker schluckte Tabletten, um seine Knieschmerzen zu ertragen. "Es war die Hölle", sagt er. Umso überirdischer seine Bilder, die er nun im Band Above Zero im Hatje Cantz Verlag veröffentlicht hat.
Rainer Stadler (Text)