»Aus dem Homeoffice sehe ich einen Obdachlosen täglich in unserer Straße. Fast niemand gibt ihm etwas. Ich habe ihm heute von meinem Küchenfenster aus ein Zeichen gegeben. Nachdem er die Straßenseite zu meinem Fenster gewechselt hat, habe ich ihm einen Euro vom zweiten Stockwerk nach unten geworfen. Aber ich kam mir nicht gut dabei vor, das Geld gönnerhaft nach unten geworfen zu haben.« Anonym
Viele der Fragen, die uns hier erreichen, haben mit Betteln und Bettlern zu tun. Mit dem Widerspruch, zugleich ein gutes und ein schäbiges Gefühl zu haben, wenn man einem Menschen, der die Hand aufhält, etwas gibt. Mir scheint, es gibt da ein grundlegendes Problem, das weniger mit dem Bettelnden zu tun hat als mit einem selbst, mit dem Menschen, der man gerne wäre, und dem, der man ist.
Abgesehen davon gibt es unterschiedliche Theorien, was sozusagen richtig ist und was falsch. Man kann die harte Linie verfolgen und sich exakt auf der richtigen Seite fühlen, wenn man nie etwas gibt, weil man damit ja nur ein System unterstützen würde, das den betreffenden Menschen in der Passivität, Abhängigkeit hält. Das kann man googeln, das findet man immer wieder von absolut ernst zu nehmenden Stellen bestätigt, und es stimmt bestimmt auch. Es stimmt aber bestimmt ebenso, dass so gut wie niemand gerne und freiwillig in der Öffentlichkeit auf dem Boden sitzt und sich zum Almosenempfänger erniedrigt. In den meisten Fällen zumindest wird eine Verkettung von widrigen Umständen dazu geführt haben, dass jemand sich derart von anderen abhängig macht.
Ich will Ihre Aktion gar nicht werten – ob ein Euro nicht etwas schäbig ist (so wenig) oder der Akt des Nach-unten-Werfens nun so schlimm: Ich halte etwas anderes für entscheidend. Ich glaube, das Wichtige ist, auf den anderen nicht herabzusehen. Sondern: Das ist ein Mensch. Und was Sie auch tun, ob Sie etwas geben oder nicht, entscheidend ist, wie Sie es tun. Sie können jemandem nett winken und ihm mit entschuldigendem Lachen Ihre Münze runterwerfen, oder Sie können es so tun, dass diese Person das Gefühl hat, für Sie ein Niemand zu sein. Stellen Sie sich vor, Sie würden diesen Menschen kennen. Stellen Sie sich eine Sekunde lang vor, Sie wären dieser Mensch.