»›Haste mal ’nen Euro?‹, werde ich häufig gefragt. Nach langen Überlegungen habe ich mich entschieden, Bettlerinnen und Bettlern kein Bargeld zu geben. Was ich auf die Frage antworten soll, weiß ich aber noch nicht. ›Tut mir leid‹ stimmt eigentlich nicht. Haben Sie eine bessere und ehrliche Idee? ›Ich möchte nicht‹ wäre richtig, kommt mir aber nicht über die Lippen.« Franziska R., Bremen
Manchmal komme ich an einem Mann vorbei, der immer am Fuße einer Treppe sitzt, die sehr belebt ist, weil sie zur S-Bahn führt. Er ist schon etwas älter. Man merkt, dass er auf sich achtet. Er sitzt den ganzen Tag in einer grauen Allwetterjacke hinter einem Becher, den Kopf zur Seite gedreht, nie hebt er den Blick. Seine ganze Körperhaltung drückt Scham aus. Er sitzt da, als hoffe er, es möge sich eine Spalte im Boden auftun und ihn verschlucken mitsamt seiner auf andere angewiesenen Existenz. Er will bestimmt nicht, dass man das Wort an ihn richtet, das ist völlig klar, und wenn man etwas in seinen Becher tut, schämt man sich selbst dafür, dass er daraufhin Danke sagt. Es ist so entwürdigend, ihn in dieser Lage zu sehen.
Manche Experten raten eher davon ab, etwas zu geben, weil es den betreffenden Menschen in der Passivität halte und nicht dazu beitrage, dass er sich längerfristig aus seiner Notlage befreit. Vielleicht ist etwas anderes entscheidend, und darauf zielt ja auch Ihre Frage ab: Menschen, die betteln, überhaupt wahrzunehmen. Nicht einfach an ihnen vorbeizugehen, als wären es Gegenstände oder als wären sie gar nicht da. Im Zweifelsfall sitzt ja niemand freiwillig oder aus Freude am jeweiligen Wetter auf der Straße.
Ich bin zwar meistens für Ehrlichkeit und störe mich an Floskeln, aber in dem von Ihnen angesprochenen Fall finde ich ein »Tut mir leid« eigentlich nicht verkehrt, selbst wenn es nicht so gemeint ist. Diese drei Worte werden so oft gebraucht, dass sie ohnehin längst sinnentleert sind. »Tut mir leid« ist eine Geste, ein bisschen als ob man den Hut zieht, was man ja vielleicht früher auch oft getan hat, ohne es wirklich zu meinen. Die Form bleibt gewahrt, das Gegenüber behält seine Würde. Es ist ja nicht viel mehr als Takt und Höflichkeit, was Zivilisationen aufrechterhält.