Muss ich die Nazi-Tasse wegschmeißen?

Unsere Leserin besitzt Tassen vom Trödel, darunter eine, die für den Reichsarbeitsdienst hergestellt wurde. Gehört sie in den Müll? Unsere Kolumnistin hat dazu eine klare Meinung.

Illustration: Serge Bloch

»Wir sind ein fünfköpfiger Familienhaushalt. Große Anteile unseres Geschirrs hat meine Mutter beim Trödel für uns gefunden. Unseren morgendlichen Kaffee trinken wir aus weißen Kantinentassen. Allerdings ist eine darunter, die gemäß Aufdruck für den Reichsarbeitsdienst hergestellt wurde. Ist es besser, sie weiter zu benutzen und von Zeit zu Zeit daran zu denken, aus welchem Unrechtssystem sie stammt, oder sollten wir sie entsorgen, um nicht aus einer Nazitasse Kaffee zu trinken? Unser Fünfjähriger schätzt diese Tasse besonders, da sie einen eckigen Griff hat.« Sophie B., Berlin

Was die Gestaltung der Morgenstunden angeht, sind Menschen sehr verschieden. Manche sind fürs Erste nicht ansprechbar, andere pfeifen fröhlich unter der Dusche, und es gibt bestimmt auch den einen oder anderen, der schon beim ersten Schluck Kaffee gerne an den Nationalsozialismus denkt. Ihre Frage lässt den Rückschluss zu, dass Sie eher nicht zu Letzteren gehören. Sie scheinen einfach ein Mensch zu sein, der vor einer Entscheidung das Für und Wider gewissenhaft abwägt. Gehen wir die Argumente gemeinsam durch: Für den Behalt dieser Tasse spricht der Geschmack eines Fünfjährigen, der Umstand, dass sich dieses Stück optisch in ein bereits bestehendes Ensemble einreiht, und vielleicht auch noch ein bisschen die Tatsache, dass es ein Geschenk Ihrer Mutter ist. Ihr eigenes Argument, Sie wollten sich durch die Benutzung dieser Tasse zu einem bewussten Umgang mit der deutschen Geschichte anhalten, klingt mir, mit Verlaub, zu konstruiert. Es scheint mir sogar den heimlich darunterliegenden Wunsch zu offenbaren, die Tasse – mit reinem Gewissen – zu behalten. Dafür suchen Sie Absolution.

Da Sie in dieser Sache bisher allein nicht weitergekommen sind, übernehme ich gerne die Verantwortung für folgende Entscheidung: Weg mit der blöden Tasse! Wer will sich denn morgens von einem Gebrauchsgegenstand ein latent schlechtes Gewissen machen lassen? Der Fünfjährige wird’s verschmerzen. Oder Sie besorgen halt eine andere Tasse mit eckigem Griff. Auf eckige Henkel hatten die Nazis ja nun kein Patent. Ihre Mutter wird es vielleicht nie erfahren (manche Tassen gehen ja auch einfach zu Bruch). Ihr Leben wird sehr viel schöner sein, wenn Sie morgens, während Ihnen Kaffeeduft in die Nase steigt, an all die guten Sachen denken können, die Ihnen der Tag bringen wird.