»Ich habe mit meiner besten Freundin über die letzten Jahre gesprochen. Mir ging es vor allem am Anfang von Corona nicht gut, da ich im Lockdown in eine neue Stadt gezogen bin und die Kontakte, die ich dort knüpfen konnte, nicht das waren, wonach ich gesucht hatte. Sie meinte dann zu mir, sie habe darüber schon oft nachgedacht und auch mit anderen darüber gesprochen – ich hätte es verdient, endlich glücklich zu sein. Das war wie ein Stich. Aber was stört mich an dieser Aussage so sehr? Soll ich es ansprechen?« Anonym, per Mail
An dieser Aussage stören Sie drei Dinge. A) Dass Ihre Freundin mit anderen über Sie redet. Nie schön. B) Dass es dabei um private Dinge geht, die andere nichts angehen. Wenn sie denn überhaupt stimmen. Aus irgendeinem Grund scheint Ihre Freundin es nötig zu haben, sich über Sie zu erheben. Der Wunsch, Sie möchten endlich glücklich sein, kommt unangenehm von oben. Man stellt sich sofort die kleine Versammlung vor, der Ihre Freundin verkündet, wie unglücklich Sie sind, seit Jahren … »Sie hat es so sehr verdient, glücklich zu sein«, sagt sie abschließend, ganz feierlich darüber geworden, was für eine mitfühlende Freundin sie doch ist. Und die anderen murmeln, oh Mann, ja, die Arme, nicken und machen ein mitleidiges Gesicht. Wir wollen nicht übertreiben. Eine Sekunde später wurde dann wieder über etwas ganz anderes geredet, dennoch: Will man von seiner angeblich besten Freundin derart als deepes Gesprächsthema benutzt werden?
Und dann ist da noch Punkt C), der kurioseste von allen: Warum erzählt Ihre Freundin Ihnen das überhaupt? Weil Sie vor Ihnen als großartige Freundin dastehen will. Ihr Wohlbefinden liegt ihr derart am Herzen, dass sie zur Not auch vor der UN-Vollversammlung aufträte mit der Forderung nach etwas Glück für Sie. Ja, sie hat sich von Ihnen Applaus erhofft. Weil Sie es so gut meint mit Ihnen. Sollte es Ihnen vorher nicht schlecht gegangen sein, hat Ihre Freundin Ihnen das gründlich verdorben. Neuerdings gibt es das Modewort »toxisch« für Menschen, die einem mit Freundlichkeit etwas reindrücken, das lange übel nachwirkt. (Beispiel: »Ich kann leider nicht zu deiner kleinen Einweihungsparty kommen, weil ich dummerweise bei Meghan und Harry zum Dinner eingeladen bin, ich ärgere mich so.«)
Es mag eine abwegige Einzelmeinung sein, aber ich finde, Freunde sollten einen vor dem billigen Mitleid anderer schützen. Ansprechen sollten Sie es auf jeden Fall.