Seit dieser Woche hören offiziell 100 Millionen Menschen auf der Welt ihre Musik über Spotify. Eine Funktion des Streamingdienstes: die Musical Map. Eine Weltkarte, die verzeichnet, welche Musik aktuell wo am liebsten gehört wird - und zwar nicht auf Länder runtergerechnet (wie in den normalen Charts), sondern auf Städte.
Das ist, um es mal ganz klar zu sagen, phänomenal. Um herauszufinden, was die Bewohner von, sagen wir, San José in Costa Rica gerade so hören, hätte man vor zehn Jahren noch einen Lauschangriff starten müssen, auf die Kopfhörer in der U-Bahn, auf die Küchenradios und Clubs. Heute hören alle Spotify. Im Büro, in der Küche, auf dem Klo. Und wir können ablesen, dass die Menschen von San José dort zurzeit mit Vorliebe den Song »Boom« von Vershon hören, einem jamaikanischen Dancehall-Sänger, der sich landesweit zwar nicht durchgesetzt hat (dort steht Sia mit »Cheap Thrills« auf Platz 1), aber in der Hauptstadt megabeliebt ist.
Hochspannend also. Und was hört man in den deutschen Städten wirklich? Und was lernen wir daraus?
Der Norden
Hamburg sieht sich gerne als Geburtsort des deutschen Hip-Hops, da passt es gut, dass auf den oberen Plätzen die Beginner stehen, der Rapper Gzuz sowie die Hip-Hop-Band Neonschwarz. Alle drei kommen aus Hamburg. Und im aktuell meistgehörten Song der Stadt, »Ahnma« von den Beginnern, kündigen die sogar an, »Hamburg wieder auf die Karte« setzen zu wollen. Prophezeiung erfüllt - zumindest in Kiel, Flensburg und Bremen. Dort ist der Song ebenfalls ganz oben.
Der Osten
In Chemnitz, Halle und Magdeburg ist man sich einig: Am allerallerliebsten hört man Stereoact, ein DJ-Duo aus dem Erzgebirge. Deren neuer Song heißt »Der Himmel reißt auf«, im Refrain geht es weiter mit der Zeile: »...und wir tanzen im Regen und er wäscht den Morgen fort«. Ein hedonistisches Manifest für die Sommerparty trotz feuchter Witterung. Offenbar ist man im regnerischen Sommer 2016 im Osten wetterresistenter als im Rest des Landes, wo kein Mensch dieses Lied hört.
Die Hauptstadt
Na klar, die Berliner. Brauchen mal wieder ‘ne Extrawurst. Passend dazu stammt der aktuell meistgehörte Song in der Hauptstadt von einem Songwriter mit dem irrwitzigen Namen L.A. Salami. Falls das ein großangelegter post-meta-ironischer Witz sein soll, liebe Hauptstadthipster, ist er euch eindeutig gelungen.
Die Mitte
Kassel, Bielefeld, Braunschweig: die neutrale Mitte Deutschlands. Dass dort kein spezieller Song gehört wird, sondern genau das gleiche Zeug wie im Norden und Osten (Gzuz und der sehr langweilige Berliner Rapper Kontra K), wundert natürlich kein bisschen. Nur in Paderborn hört man seltsamerweise in dieser Woche massenweise Fettes Brot - gleich drei Songs von denen stehen in den Top 3. Hat das was damit zu tun, dass die Band im September in Hannover auftritt? Dann wäre das eine sehr gewissenhafte Konzertvorbereitung der Paderborner Fans und auf jeden Fall lobend zu erwähnen.
Der Westen
Stark lokalpatriotisch, aber durchweg zerrissen tritt Westdeutschland auf: Dortmund hört am liebsten einen gewissen einheimischen Rapper namens Play69, ein paar Kilometer weiter in Essen bevorzugt man hingegen die Spaßrapper 257ers, die sich nach der Postleitzahl ihres Essener Stadtteils benannt haben. In Köln besteht die komplette Hitliste aus kölschen Mundart-Songs (klar, die versteht auch sonst niemand), und in Frankfurt hören gerade alle den Song »069« (logisch, die Vorwahl von Frankfurt) vom (natürlich, in Offenbach aufgewachsenen) Haftbefehl. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass das Saarland seinem Ruf als zweitlangweiligstes Bundesland gerecht wird und den gleichen Kram hört wie Niedersachsen.
Der Süden
In Baden-Württemberg hört man nichts Spezielles, dafür liegt Ulm, was den Musikgeschmack angeht, in Bayern. Dort ist nämlich zum ersten Mal ein Song vertreten, der überall in Bayern (und nirgendwo sonst) extrem beliebt ist: »Ham kummst«, vom österreichischen Duo Seiler und Speer. Ab Nürnberg kommt ein bayerischer Hit dazu, »Gloana Bauer«, eine Blasmusik-Coverversion von Teenage Dirtbag, die ebenfalls überall im Freistaat gehört wird. So wird es Richtung Süden zunehmend alpenländischer, ab Regensburg sind gleich mehrere B-Seiten von Seiler und Speer in den Top 10, in Augsburg ergänzt durch den lokalen Rapper Errdeka (einer der wenigen hochdeutschen Interpreten, die man in Bayern hört). Die Landeshauptstadt schließlich wird ihrem Ruf als barock-derbe Mir-doch-wurscht-Stadt gerecht: Einer der Songs, die man in München gerade am allermeisten hört, kommt vom Rap-Duo Dicht & Ergreifend. Er lautet: »Zipfeschwinga«.