Heizung entlü« tippe ich ins Suchfenster. Weiter komme ich nicht. Die Riesenmaschine kennt mein Problem und vervollständigt zu »Heizung entlüften kommt kein Wasser«. Genau jenen Hilferuf, der mir vorschwebte, haben offensichtlich schon viele bei Google eingegeben, wahrscheinlich standen die auch alle in Heimwerker-Hose in ihren kalten Wohnungen und tippten hilfesuchend auf der Tastatur herum. Auf diese Weise zu erfahren, dass noch viele andere an der Entlüftung ihrer Heizung gescheitert sind, fühlt sich irgendwie gut an. Als würde mir jemand väterlich die Hand auf die Schulter legen und flüstern: Du bist nicht allein.
Diesen kleinen Glücksmoment verdanke ich der Google-Funktion Autocomplete, auf Deutsch: automatische Vervollständigung. Sobald man bei Google einen Suchbegriff einzugeben beginnt, bekommt man Vorschläge, die dem Suchbegriff ähneln oder oft sogar mit dem identisch sind, was man schreiben wollte; Grundlage dafür sind über eine Milliarde Suchanfragen, die die Google-Nutzer Tag für Tag stellen und die die Firma natürlich speichert. Nicht alle freuen sich über diese Funktion. Ein Unternehmer klagte dagegen, dass Google die Begriffe »Scientology« und »Betrug« vorschlug, sobald man seinen Namen eingab. Auch Bettina Wulff war nicht einverstanden mit den Begriffen, die Google ihren Namen zuordnete, und ging juristisch gegen den Konzern vor. Klar, kann man verstehen. Aber für alle normalen Menschen ist Autocomplete eher eine Quelle des Trostes als des Ärgers.
Meine Suchchronik der letzten Woche listet jedenfalls viele Anfragen auf, die das beweisen: »Telefon Gigaset wählt nicht mehr«, »Belastungs-EKG – vorher trainieren?«, »Cinemaxx Gutschein wie lange gültig?« Und dann war da noch das Problem mit dem Liter alten Frittierfetts, das nicht zu einem Klumpen werden wollte. Wohin sollte man sich sonst wenden mit diesen Fragen, als an Google? Wobei Suchmaschinen heute mehr tun als bloß den Weg zur gewünschten Information zu weisen. Viel wichtiger ist oft ein unterbewusster Effekt des Googelns: Teil einer Gemeinschaft zu werden. Nach gut 15 Jahren steht hinter dem Suchfenster und seinen Algorithmen unsichtbar auch das Versprechen, dass es jedes Problem schon mal vorher gegeben hat, egal wie individuell der Zuschnitt auch scheinen mag. Linke Hand am Toaster verbrannt? Micro-Sim-Karte trotz Schablone falsch ausgeschnitten? In die Ex vom Stiefonkel der Kindergärtnerin des Sohnes verknallt? Alles schon gefragt worden und von irgend-welchen guten Geistern des Webs auch beantwortet, diskutiert, bewertet. Erkenntnis: Ich bin zwar möglicherweise doof, aber immerhin nicht der einzige.
Und weil das Netz eben für fast alles im Leben schon ein Beispiel ausspucken kann, ist es kein Wunder, dass die Benutzer immer unmündiger, die Fragen an Google immer offener werden. Gibt man spaßeshalber »Was mache ich« ein, ergänzt die Maschine die vier wahrscheinlichsten Enden:
Was mache ich heute
Was mache ich falsch
Was mache in an Silvester
Was mache ich aus meinem Leben
Universale Themen, existenzielle Unsicherheit! Mit derlei wäre man früher zum Orakel von Delphi galoppiert – heute wendet man sich an seinen Browser. Selbst wenn die Suchergebnisse oft keine wahre Aufklärung bringen, sie schaffen doch wenigstens Einblick in das Leben der anderen und damit Linderung. Es ist, als wäre die Weltbevölkerung ein einziger großer Stuhlkreis, in dem man alles sagen darf, weil einer bestimmt aufspringen und rufen wird: »War bei mir auch so, ist gar nicht so schlimm!«
Ernst wird es erst, wenn aus den eingegebenen Zutaten noch nie jemand etwas gekocht, die körperlichen Symptome noch nie jemand an sich beobachtet hat. Dann erst muss man wieder der verflixten Unsicherheit der analogen Welt ins Auge sehen! Ist aber, wie gesagt, recht selten geworden.
Illustration: Philippe Petit-Roulet