Eine schöne Sauerei

Das Meerschweinchen hat in der Kunst bisher keine tragende Rolle gespielt. Das ändert sich jetzt - mit den Bilden des Malers Cornelius Völker.

Es gibt Tiere, die entschieden zu oft gemalt worden sind, Hirsche, zum Beispiel, oder Pferde. Im 19. Jahrhundert ist die Tiermalerei sogar eine eigene Kleingattung der Genremalerei geworden, wofür München so berühmt wie berüchtigt wurde: berühmt, weil Franz Marc sich hier anschickte, im Tier das existenzielle Gegenüber des Menschen auszuloten; berüchtigt, weil es regelrechte Spezialisten gab, für alpenländische Nutzvieh-Idyllen wie für verspielte Kätzchen. Einer von ihnen ist, seiner zoologischen Marktnische entsprechend, sogar als »Enten-Koester« in die Kunstgeschichte eingegangen. Als er 1932 starb, starteten die Enten gerade eine ganz andere Karriere im Comicstrip. Dagegen wird die Liste selten oder nie gemalter Tiere wohl ungeschrieben bleiben. Auf ihr dürften der Nacktmull, der Beutelteufel oder das Erdmännchen Spitzenplätze einnehmen. Und natürlich das Meerschweinchen. Wenn es stimmen sollte, dass jede Tierart ein den Menschen von Gott aufgegebenes Rätsel ist, wer hätte dann die Lösung für dieses Tier parat, von dem man als Laie nur den Eindruck gewinnt, dass es nichts kann und nichts weiß und nichts will, außer dem Allerüblichsten?

Kinder wollen ein solches Tier aber bereits haben, wenn sie nur den Namen hören. Ob sie in der Verkleinerungsformel einen verständigen Partner ihrer eigenen Miniaturexistenz erhoffen oder ein noch kleineres Geschöpf,
das sie herumkommandieren können, das stellt sich dann erst in der Praxis heraus.

Es ist nicht nur die Koseform, die ihnen das Tier empfiehlt, sondern auch seine Namenspoesie. Dabei hat dieses kompakte Lebewesen mit einem Schwein ebenso wenig zu tun wie mit dem Meer. Es ist vielmehr ein Nagetier und zog ursprünglich hoch gelegene Andenregionen den menschlichen Behausungen entschieden vor, wo es für den Sonntagsbraten angefüttert wird.

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Kinder kann man wohl kaum boshafter ärgern als mit dem Hinweis auf die Essbarkeit ihres Streicheltiers, und sei es eines, das sich jedem Kuschelversuch so panisch entzieht wie ein ungelerntes Hausmeerschweinchen. Auch im Hinblick darauf, was Erwachsene mit ihm vorhaben, wirkt es eher begriffsstutzig. Als Opfer von Laborexperimenten ist das guinea pig im Englischen daher ebenso sprichwörtlich wie hierzulande das Versuchskarnickel. Beiden hätte man dieses Schicksal gerne erspart, dabei sind sie selber aber keine große Hilfe.

Und natürlich musste der Mensch seine gattungsspezifische Hybris auch an diesem Tier auslassen: Mit Züchtungen sorgte er für eine noch größere Vielfalt von Arten, als er selbst überhaupt schon verstanden hat. So kam eine Sortenbreite in die Welt, in der gerade die Geschmacksverirrungen hervorstechen. Als wenn ein Meerschweinchen nicht normalerweise schon komisch genug aussähe!

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum die Meerschweinchen-Bilder von Cornelius Völker kinetische Kunst sind.


Freilich sollte man die Suggestivität seiner kurzhaarigen Stromlinienform nicht unterschätzen. Als von einer befreundeten Familie vor Jahrzehnten die erste marktgerechte Familienschleuder, ein Renault Espace, angeschafft worden war, entlarvten die klugen Kinder auf Anhieb die Kalkulation der Designer und tauften ihr Gefährt »Meerschweinchenauto«. Die so früh aufgedeckte Rechnung der Autoindustrie ist inzwischen aufgegangen: Wo man auch hinschaut, fahren VW Tourans und Opel Zafiras, einschlägige Toyotas, Fords oder Hyundais wie Großmetall gewordene Streicheltiere herum, auch wenn gefühllose Jugendliche in ihnen eher Rentnerpanzer erkennen wollen.

Gibt es neben dem Kindchenschema also auch ein Meerschweinchenschema, mit dem die geheimen Verführer unsere Kaufentscheidungen beeinflussen wollen? Diese Frage stellt sich auch vor den Bildern von Cornelius Völker. Was wollen sie uns sagen – Völker der Welt, schaut auf dieses Tier?

Wenn sich der große Sigmar Polke schon in den Siebzigerjahren selbstkritisch der Frage stellte: »Wie kamen die Affen in mein Schaffen?« – welche Fragen werfen dann erst gemalte Meerschweinchen auf! Sollen wir ihren Maler verdammen, weil er, auf Kosten einer ergreifend uncharismatischen Kleingattung, Käufer durch Erheiterung zu überrumpeln versucht, oder sollen wir seine Kühnheit bewundern, die Kunstgeschichte um ein vorderhand so völlig ungeeignetes Motiv bereichert zu haben?

Völker hatte schon Hasen, Hunde und Tauben gemalt, Handtücher sowie Menschen, sogar recht ordentlich, bevor er sich zum Meerschweinchen herabließ. Er lehrt aber auch an einer Akademie, was der Angelegenheit nun eine sittliche Dimension verleiht: Was soll aus seinen Schülern werden? Wie lernt man, tongue-in-cheek zu malen? Und welche Motivvarianten bleiben dem Nachwuchs noch übrig?

In der modernen Kunst geht es ja nicht, wie im Design, um die schlüssige Grundform, sondern um die unschlüssige Variation. Jetzt trifft sich diese Abwandlungslust mit den albernsten Zuchtvarianten des Meerschweinchens auf
einer Leinwand – ist das nun ein Aufruf zur Umkehr oder nur eine weitere Diversifikation, diesmal nicht des Auto-, sondern des Kunstmarktes? Fragen über Fragen – und dieses Tier ist es einfach nicht gewohnt zu antworten!
Das Ganze ist freilich nur ein erhabener Unfug.

Bei Völkers Meerschweinchen geht es in Wahrheit gar nicht um Malerei, sondern um kinetische Kunst, was aber auf den Vernissagen wieder mal keiner mitkriegt: Sobald sich der Betrachter amüsiert abwendet, grinsen nämlich auch die gemalten Tiere. Ganz kurz nur. Aber böse.

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Walter Grasskamp, 59, lehrt Kunstgeschichte an der Münchner Akademie. Durch die Fensterwand seines Büros schaut er auf die Stelle, an der bis 2007 das Gartenhaus stand, in dem einst die Tiermalklasse untergebracht war.

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Kunst-Freunde, die gerne lange im voraus planen, seien darauf hingewiesen, dass das Museum Villa Stuck vom 17. Februar bis 25. April 2011 die erste umfassende Werkschau von Cornelius Völker präsentieren wird. Natürlich mit den Meerschweinchen!

Cornelius Völker (Bilder) - Courtesy Schirmer /Mosel Verlag München