SZ-Magazin: Frau Smith, in Ihrer Kunst tauchen sehr häufig Vögel auf. Hat das einen speziellen Grund?
Kiki Smith: Ich mag Vögel einfach sehr gern. Ich träume auch oft von ihnen. Und es gibt so viele in meiner Umgebung, hier mitten in Manhattan am Tompkins Square Park. Einige Jahre lang kamen Krähen in die Stadt, momentan leben hier auch Falken. Und eine Eule wurde im Park gesichtet. Die Vögel haben ihre Lebensgewohnheiten der Stadt angepasst. Ihr Gesang hat sich teilweise verändert. Ihre Lebensbedingungen in der Natur haben sich verändert, wegen des Pestizideinsatzes in der Landwirtschaft und wegen des Verlusts ihres natürlichen Lebensraumes. Viele Vogelarten aus dem Norden sind in Städte im Süden und viele Vögel aus dem Süden sind in den Norden gezogen, wegen des Klimawandels.
Hat die Sorge um die Umwelt Sie dazu gebracht, Vögel zu zeichnen?
Das Verschwinden der Vögel beschäftigt mich. Seit meiner Jugend war ich schon immer von vielen Vögeln umgeben; einmal lebten dreißig Vögel in meinem Haus. Eine Taube blieb 16 Jahre lang bei mir. In den wärmeren Jahreszeiten flog sie ein und aus, abends kam sie zum Schlafen. Im Katholizismus ist die Taube das Symbol für den Heiligen Geist.
Sie ist der Geist, Teil der Dreifaltigkeit. Ich interessiere mich nicht sonderlich für die religiöse Doktrin. Aber ich bin neugierig, welche Gestalt Glauben annehmen kann. Ich erforsche in meiner Arbeit oft religiöse Darstellungen und die Ikonografie. Der Katholizismus gibt einer spirituellen Welt eine sichtbare, physische Form. Dieser Fetischismus der Objekte fasziniert mich. Ich interessiere mich für die Objekte und die Architektur des Katholizismus, genau wie für die anderer Glaubensrichtungen.
Die katholische Kindheit ist Ihrer Arbeit dennoch stark anzumerken.
Meine Mutter ist zum Katholizismus konvertiert, später zum Hinduismus und Buddhismus. Mein Vater wurde von Jesuiten erzogen und unterrichtet. Ich wurde christlich erzogen und fühlte mich der christlichen Kultur verbunden.
Stimmt es, dass Sie als Kind tote Tiere aufgebahrt haben?
Ja, ich bin in einer Vorstadt in New Jersey aufgewachsen. Da begegnet einem noch ab und zu ein totes Tier. Mein Vater hat mit mir seine Begeisterung für Tutanchamun und Mumien geteilt. Wenn ich tote Tiere gefunden habe, umwickelte ich sie wie Mumien und begrub sie mit Glasperlen und anderen hübschen Dingen. Vor Kurzem hab ich meine Katze mit einem Werk von mir in meinem Garten begraben. Die Neandertaler legten ihren Toten Blumen in die Gräber.
Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?
Ich glaube nicht an Reinkarnation oder an einen Himmel. Ich weiß nicht, wie mein Leben nach meinem Tod sein wird.
Finden Sie Tiere schöner als Menschen?
Nein, nicht besonders. Wir sind selbst Tiere, und als Tiere fühlen wir uns von Symmetrie angezogen. Tiere und Menschen sind im Allgemeinen symmetrisch.
Ihre Arbeit hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Ihre Bilder sind zarter geworden, und Sie malen sehr häufig Tiere.
Ich bin jetzt 56 Jahre alt und habe seit meinem 24. Lebensjahr gearbeitet – meine Kunst hat sich mit meinem Leben gewandelt.
Würden Sie zustimmen, dass Sie sich vor dreißig Jahren mit der Hässlichkeit des Lebens beschäftigt haben und sich jetzt der Schönheit zuwenden?
Nein, ganz und gar nicht. Als ich in den Siebzigerjahren zu arbeiten begann, habe ich versucht, das Leben zu verstehen, indem ich mich mit Anatomie beschäftigt habe. Ich wurde medizinisch-technische Assistentin in der Unfallaufnahme, um mich besser im Inneren des menschlichen Körpers auszukennen. Ich wollte wissen, welche persönliche, welche kulturelle, welche historische Bedeutung verschiedene Teile des Körpers haben. Meine künstlerische Arbeit hat sich von innen nach außen entwickelt: Ich fing mit dem Malen von Zellen an, dann kam ich zu den Organen und daraufhin zu den größeren Systemen im Körper. Schließlich bin ich aus dem Körper herausgegangen in die Welt. Es verlief wie die Entwicklung eines Heranwachsenden: Man beginnt damit, in sich etwas zu entdecken, wächst und schaut dann, was draußen los ist.
Wie meinen Sie das?
Zuerst entdeckte ich mich selbst, dann wurde ich erwachsen und begann nachzuschauen, was in der Welt vor sich ging. Ich habe in meiner Arbeit immer versucht, mich an das zu halten, was mich tief berührt. In manchen Momenten ist es allerdings riskant zu zeigen, was einen leidenschaftlich bewegt.
Haben Sie von den Krähen auf dem Poster geträumt?
Nein, von denen habe ich nicht geträumt, und es sind auch keine Krähen, sie haben eher Ähnlichkeit mit einer Taube oder einem Star.
(Auf der nächsten Seite lesen Sie, wie das Vogel-Bild fürs SZ-Magazin entstanden ist und was das Wort "Hoffnung" für die Künstlerin selbst bedeutet.)
Wie entstand das Vogel-Bild?
Das Bild auf dem Poster war ursprünglich eine Glasmalerei. Es wurde dann fotografiert und am Computer zu einer Collage zusammengestellt. Der platinfarbene Glanz auf dem Glas sieht auf dem Foto orange aus. Diese Glasmalereien habe ich in München in der Mayer’schen Hofkunstanstalt angefertigt. Sie sind Teil einer großen Gruppe von Bildern mit dem Titel Pilgrim.
Wie sind Sie denn nach München gekommen?
Das erste Mal wurde mir die Mayer’sche Hofkunstanstalt von den Künstlern Raimund Kummer und Stephan Huber gezeigt. Ich war sehr froh, dort arbeiten zu können. Als ich 1999 im Diözesanmuseum in Freising ausstellen sollte, habe ich gesagt, dass ich meine Arbeiten dafür gern bei Mayer machen würde. Von da an habe ich so oft wie möglich in der Hofkunstanstalt gearbeitet. Sie haben für die Künstler eine Gästewohnung im Speicher, deshalb habe ich immer die Möglichkeit, viele Stunden am Stück zu arbeiten. Kürzlich habe ich dort mit der Vergolderwerkstätte Hans Kellner zusammengearbeitet, die Glühlampe auf dem Bild ist so entstanden.
Mögen Sie die Stadt?
Mir gefällt München, es gibt wunderbare Museen. Ich kenne einige Künstler und Barbara Gross ist meine Galeristin dort. Die Stadt durch die Arbeit kennenzulernen, macht mir Spaß.
Ihr Bild auf dem Poster heißt Hoffnung durch Handeln. Was bedeutet das?
Hoffnung ist eine Möglichkeit; im Katholizismus gehören Glaube, Hoffnung und Barmherzigkeit zusammen. Ich denke, Hoffnung kann nur durch Handeln eine Bedeutung haben oder verwirklicht werden. Folgerichtig erfordert Hoffnung Handlung, sonst bleibt sie eine statische Idee.
War die Hoffnung in Ihrem Leben immer größer als die Angst?
Ich denke nicht in solchen Mustern. Das Leben ändert sich ständig, und so bringt es auch immer wieder neue Erfahrungen mit sich.
Hilft Ihnen die Kunst, mit dem Tod umzugehen?
Nein. Kunst ist der sichtbare Ausdruck von Kreativität. Durch meine Kunst versuche ich eine Verbindung herzustellen zwischen meinem Innenleben der Gedanken und Gefühle und der Welt um mich herum.
Kennen Sie gar nicht das Gefühl, die Hoffnung zu verlieren?
Natürlich verliert man mal die Hoffnung, aber das geschieht nur, weil man an einer bestimmten Vorstellung von Wirklichkeit festhält. Wenn es einem gelingt, ohne Erwartungen zu leben, vielleicht auch ohne Hoffnung, wird man glücklicher. Wenn es denn tatsächlich ums Glücklichsein geht. Es ist fraglich, ob es wirklich so wichtig ist, glücklich zu sein, aber Glück macht das Leben sicher angenehm.
Halten Sie sich für spirituell?
Ich begreife mich als Teil von allem, was existiert. Ich persönlich bin eine Ansammlung von vielen verschiedenen Glaubensrichtungen, manche sind ganz gegensätzlich, sie bestehen nebeneinander und sie verwandeln mein Leben.
Beten Sie?
Ja, ich bedanke mich für die Möglichkeit, auf der Welt zu sein. Ich bete selten, damit etwas Bestimmtes geschieht. Was im Leben auf einen zukommt, ist viel interessanter, viel größer als die Beschränktheit der eigenen Wünsche und Vorstellungen.
War das jetzt buddhistisch?
Eher ein amerikanischer Gedanke. Hier in New York gibt es vielleicht zwanzig, dreißig, vierzig verschiedene Religionen und spirituelle Bräuche, die aktiv von den Bewohnern ausgeübt werden. Diese große Vielfalt durchdringt das Leben täglich auf unvorhersehbare und zufällige Weise. Man wird zu einer Mixtur von verschiedenartigsten Glaubenssätzen. Die Vielfalt wirkt auf mein Leben und gibt ihm Kraft.
Foto: Wilfried Petzi