Spuren des Schreckens

Die Kunst, die Stadt und der Tod: Seit der Maler Norbert Bisky in Mumbai aus nächster Nähe die Terroranschläge erlebte, die mehr als 170 Menschen töteten, arbeitet er daran, die Bilder in seinem Kopf zu Bildern auf der Leinwand zu machen. Hier zeigt er sie zum ersten Mal.

SZ-Magazin: Herr Bisky, Sie waren im November 2008 während der Terroranschläge in Mumbai. Wie haben Sie von den Angriffen erfahren?
Norbert Bisky:
Ich habe zunächst gar nichts mitbekommen, weil ich mit ein paar Leuten beim Abendessen in einem nahe gelegenen Hotel war. Plötzlich hieß es, wir müssten dort bleiben – ohne Begründung. Wir sind trotzdem Richtung »Taj Mahal«-Hotel gefahren, wo die Terroristen wüteten – dort waren die Sammler, mit denen ich aß, untergebracht. Wir wollten dort auch meinen Galeristen Andreas Osarek treffen.


Kamen Sie denn bis zum Hotel?
Nein. Schon auf der Fahrt dorthin hatten wir ein komisches Gefühl im Bauch und versuchten anzurufen. Aber niemand ist ans Telefon gegangen. Wenn an der Rezeption des teuersten Hotels in einer der größten Städte der Welt keiner abhebt, ist das schon sehr merkwürdig. Nach mehreren Versuchen konnten wir endlich mit jemandem sprechen, die Schießerei war aber schon voll im Gange. Es hieß: »Kommen Sie bloß nicht her, bleiben Sie so weit wie möglich weg vom Hotel!« Zuerst dachten wir noch, das sei Panikmache. Bald war aber klar, dass etwas Schreckliches passiert sein musste.

Meistgelesen diese Woche:

Was geschah dann?
Wir sind zurück in das Hotel, in dem wir gegessen hatten. Dort standen kurz darauf Möbel als Barrikaden vor der Tür, Sicherheitskräfte zogen auf. Nach ewigem Warten in der Hotelbar ist mir der Kragen geplatzt, ich schrie: »Geben Sie uns einen Fernseher!« Wir haben dann nachts um drei Uhr ein Zimmer bezogen und erfuhren endlich von CNN, was in der unmittelbaren Nähe geschah. Andreas Osarek, der während der Terrorangriffe im Hotel »Taj Mahal« war, hielt per SMS die meiste Zeit über Kontakt nach Berlin. Sie auch?
Ich hatte mein Handy in meinem Apartment liegen lassen, das gleich um die Ecke des »Taj Mahal« liegt, also mitten im »Kriegsgebiet«. Ich habe And-reas erst wieder in Berlin gesehen.

Sind Sie auch möglichst schnell nach Berlin zurückgeflogen?
Ich bin in Mumbai geblieben. Es herrschte eine gespenstische Stimmung: kaum Menschen und keine Autos auf der Straße – und das in dieser
riesigen Stadt. Die Terroristen wurden erst nach vier Tagen endgültig überwältigt.

Hatten Sie keine Angst?

Ich war wahnsinnig wütend – die Terroristen wollten das Alltagsleben der Stadt lahmlegen. Doch ich war gekommen, um eine Ausstellung zu eröffnen, und habe das dann auch getan.

Hat es Ihnen geholfen, diese Szenen jetzt auf der Leinwand zu verarbeiten?
Wenn mir etwas passiert, muss ich es angehen. Aber verarbeiten kann man nichts. Es war wichtig, ein bisschen Abstand zu den Geschehnissen zu bekommen. Ich hätte nicht zurückkommen und gleich mit dem Malen anfangen können.

Die Szenen auf Ihren Bildern haben nicht direkt mit den Terrorangriffen zu tun.
Das Böse ist so wahnsinnig banal und überhaupt nicht aufregend: gestapelte Möbel, blutverschmierte Matratzen, die aus Fenstern geworfen wurden, Bettlaken, die an der Fassade hingen und an denen sich die Menschen abgeseilt haben, Einschuss-löcher in den Häuserwänden und Schaufenstern. Ich habe die Spuren des Schreckens gemalt, aber nicht im Sinne von Action, Hollywood, Knalliballi.

Gibt es ein Bild, an das Sie sofort denken müssen, wenn der Name »Mumbai« – wie nun Mitte April zu Prozessbeginn gegen den einzigen überlebenden Attentäter – auftaucht?

Nein, ich habe viele einzelne Assoziationen, daher habe ich mich auch für eine Serie entschieden. Sie ist nach dem Stadtviertel »Colaba« benannt, wo die Anschläge stattfanden. Interessant ist, dass ich seit vielen Jahren wieder Bilder gemalt habe, auf denen kaum Menschen zu sehen sind. Alles andere wäre auch gar nicht gegangen und völlig unangemessen gewesen, denn zum Glück war ich nicht dabei, als Menschen erschossen wurden.

Nur auf einem der hier gezeigten Bilder ist jemand zu sehen.
Viele der Opfer waren Hotelangestellte. Als ich am zweiten Tag nach Beginn des Terrors versuchte, in mein Apartment zu gelangen, sah ich einige verletzte und verdreckte Menschen aus dem Hinterausgang des Hotels stolpern. Sie alle haben dort wohl als Pagen oder Zimmermädchen gearbeitet.

Würden Sie wieder nach Mumbai fahren?

Im Moment nicht, nein. Und sicherlich auch nicht innerhalb der nächsten fünf Jahre.

Das Jahr 2008 endete für Sie und Ihre Familie besonders tragisch durch den plötzlichen Tod Ihres jüngeren Bruders. Werden Sie sich auch diesem Thema durch die Kunst nähern können?
Ich wäre ein Monster, wenn ich jetzt so tun würde, als wäre nichts geschehen. Die Dinge, die mir passieren, müssen in meine Bilder. Deswegen male ich überhaupt. Aber ich weiß auch: Es gibt Grenzen, man kann nicht alles darstellen. Den Horror in Mumbai genauso wenig wie persönliche Tragödien.