Dass Kunst aus Schmerz entsteht, hielt der niederländische Fotograf Maurice Mikkers lange nur für ein Klischee. Bis er sich seinen Zeh am Tischbein seines Ateliers stieß – so heftig, dass ihm die Tränen kamen. Mikkers hat sich darauf spezialisiert, Gegenstände in extremer Vergrößerung zu fotografieren. Und weil er gerade dabei war, für ein Fotoprojekt zu untersuchen, wie bestimmte Flüssigkeiten unter dem Mikroskop aussehen, dachte er: Warum nicht mal schauen, wie eine Träne in hundertfacher Vergrößerung wirkt? Also ließ er den Tropfen auf einer Glasplatte trocknen, experimentierte mit Belichtungen und fotografierte den Tropfen durch ein Mikroskop. Heraus kamen Aufnahmen, die aussehen wie Planeten mit schönen Landschaften.
Mikkers lief zurück in die Küche und schnitt so lange Zwiebeln, bis er genug Tränen zum Experimentieren hatte. Und siehe da: Die Schmerzträne und die Zwiebelträne unterschieden sich voneinander gewaltig in ihrer Struktur. Mikkers begann zu recherchieren, las Fachbücher über die Zusammensetzung von Tränenflüssigkeit, ihre Proteine und Enzyme – und fand auch die Arbeiten der Künstlerin Rose-Lynn Fisher, die Tränen ebenfalls vergrößert abgebildet hat. Mikkers lernte zum Beispiel, dass Tränen immer aus Salzwasser bestehen, aber Tränen des Schmerzes obendrein ein beruhigendes Hormon enthalten. Man kann einer Träne also ansehen, warum sie vergossen wurde. Und: Keine Träne gleicht der anderen. Um möglichst viele Motive zu produzieren, lädt Mikkers immer wieder Freunde buchstäblich zum Weinabend ein. Einer muss eine scharfe Chilischote essen, eine andere lange in einen Ventilator schauen, der Nächste an ein trauriges Ereignis denken. Die Ergebnisse sind auf diesen Seiten zu sehen. Und der Beweis ist erbracht: Tränen lügen nicht.
Fotos: Maurice Mikkers