Umarmt euch, Männer!

Was könnte helfen gegen die Auswüchse toxischer Maskulinität? Wenn heterosexuelle Männer es schaffen würden, unverkrampft liebevoll miteinander umzugehen.

Noch nicht loslassen, scheint dieser Mann zu denken. Es ist gerade so schön.

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Heterosexuelle Männer können ja scheinbar alles: Großkonzerne lenken, Diktaturen errichten, Nobelpreise gewinnen. Doch eine Sache können die allermeisten von ihnen nicht – einander liebevoll und innig umarmen. Es ist jedes Mal ein trauriges Schauspiel, wenn zwei Männer, die sich freundschaftlich auf das Innigste verbunden fühlen, trotzdem nicht in der Lage sind, das auch körperlich zu zeigen. Sich zur Begrüßung beispielsweise gegenseitig fest in den Arm zu nehmen, ohne sich dabei distanzierend auf den Rücken zu klopfen oder eine der diversen Formen des pseudolässigen »Bro-Hugs« zu vollführen.

Nun ist es nicht so, dass heterosexuelle Männer nicht gern umarmt würden oder nicht wüssten, wie das geht. Sie tun es ja unentwegt mit Frauen. Partnerinnen oder platonischen Freundinnen oder auch solchen, die erst noch das eine oder das andere werden könnten. Körperliche Nähe ist ein menschliches Bedürfnis und in aller Regel sind es Frauen, die einen Großteil dieser Nähe zur Verfügung stellen. So wie sie eben auch emotionale Nähe zur Verfügung stellen, stets ein offenes Ohr für Probleme haben und die Männer in ihrem Umfeld ermutigen, sich zu öffnen und über ihre Gefühle zu sprechen – eben all die emotionale Care-Arbeit leisten, ohne die Beziehungen, Freundschaften, Familien nicht funktionieren.

Wenn man davon ausgeht, dass jedem Klischee eine Portion Wahrheit zugrunde liegt, dann können die meisten heterosexuellen Männer mit ihren besten Freunden stundenlang Playstation spielen, Plattensammlungen durchhören, schweigsame Angeltrips unternehmen, nächtelang über Politik diskutieren oder Liebeskummer wegsaufen. Aber wenn es darum geht, sich mal irgendwo anzukuscheln und menschliche Wärme zu tanken, brauchen sie dafür am Ende doch eine Frau.

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Wie sehr von Frauen erwartet wird, Männern allzeit als Nackenkraulerinnen und Ersatztherapeutinnen zur Verfügung zu stehen, konnte man beispielhaft an dem Shitstorm verfolgen, der sich über die Sängerin Ariana Grande ergossen hatte, nachdem ihr Exfreund, der Rapper Mac Miller, an einer Drogenüberdosis gestorben war. Nicht wenige gaben ihr die Schuld daran, als wäre es ihre Aufgaben gewesen, ihn von seiner Sucht zu befreien und ihm beizustehen, anstatt sich aus der toxischen Beziehung mit einem Drogenabhängigen zu lösen. Wäre irgendjemand auf die Idee gekommen, Mac Millers besten Freund für dessen Tod verantwortlich zu machen, weil der ihm nicht genug emotionale Stütze war? Wohl kaum.

Wieviel entspannter wäre das Verhältnis zwischen den Geschlechtern, wenn Männer Frauen nicht permanent als emotionale Krücken bräuchten?

Es wäre nicht nur für Frauen, sondern vor allem auch für Männer besser, sie könnten ihr Bedürfnis nach Nähe und Angenommensein auch in ihren Freundschaften mit anderen Männern erfüllt bekommen. Wieviele Auswüchse toxischer Männlichkeit könnten beseitigt werden, wenn sich frustrierte Typen einfach mal gegenseitig in den Arm nehmen könnten, anstatt anonym im Internet Frauen zu belästigen? Wenn gemeinsames Weinen unter Männern nicht nur im Fußballstadion als vollkommen normal durchginge? Wieviel entspannter wäre das Verhältnis zwischen den Geschlechtern, wenn Männer Frauen nicht permanent als emotionale Krücken bräuchten, sondern auch von ihren Kumpels regelmäßig bestätigt bekämen, dass sie liebenswerte und schöne Menschen sind?

Wie stark dieses Bedürfnis ist, kann man schön in der gerade sehr erfolgreichen Netflix-Serie Queer Eye studieren, von der bislang zwei Staffeln existieren (die dritte startet im Januar). Vordergründig handelt es sich um eine klassische Make-over-Doku, in der fünf homosexuelle Männer einen unglücklichen, ziemlich verschlumpften Hetero auf Vordermann bringen, ihm zeigen, wie man sich ordentlich anzieht und stylt, eine Guacamole zubereitet und die Wohnung nicht vermüllen lässt. Die emotionale Stärke der Show zeigt sich aber immer in dem Moment, in dem der verstockte Hetero in Tränen ausbricht und seinen fünf Mentoren befreit in die Arme sinkt. Und zwar nicht wegen der neuen Frisur, den neuen Klamotten oder der neuen Küche, sondern weil ihm fünf Männer ein paar Tage lang völlig ironiefrei und distanzlos durchs schüttere Haar gewuschelt, ihn geknuddelt und ihm die Wange gestreichelt haben und ihm immer und immer wieder gesagt haben, wie »gorgeous« und »handsome« er ist. Die Erschütterung und auch Verblüffung über dieses Maß an liebevoller, körperlicher, männlicher Zuwendung war jedem einzelnen Kandidaten deutlich anzumerken. Hier herrscht also ein Mangel, der so einfach zu beheben wäre, würde man es nicht schon kleinen Jungs zwanghaft austreiben.

Denn die Verbannung liebevoller Körperlichkeit aus der Freundschaft beginnt ja schon im Kindesalter. Während Mädchen ihre gesamte Kindheit und Jugend hindurch ganz selbstverständlich Händchen halten, sich umarmen und im selben Bett schlafen, verteilen die meisten Jungs ab der dritten Klasse eher Fistbumps – mehr Körperlichkeit findet dann nur noch auf dem Fußballplatz statt. Kinder haben feine Antennen dafür, was als akzeptables männliches Verhalten durchgeht: dem besten Freund sagen, dass man ihn lieb hat oder ihn in den Arm nehmen, wenn er traurig ist, gehört scheinbar nach wie vor nicht unbedingt dazu.

Vielleicht klappt es ja für die nächste Generation, wenn wenigstens die neuen Väter mit gutem Beispiel vorangehen. Probiert es aus, Männer, wenn ihr Euch das nächste Mal trefft: Einmal richtig fest umarmen, drei Sekunden echte körperliche Nähe zulassen, ohne Rückenklopfen. Macht einander ein echtes, von Herzen kommendes Kompliment. Habt euch lieb und zeigt es. That’s what friends are for!